Salomes siebter Schleier (German Edition)
war eine Funktion der Natur. Sie konnte daher nicht unabhängig von ihr leben, es sei denn hinter der Maske des Selbstbetrugs. Sie konnte auch nicht im Widerspruch zu ihr leben, denn damit schlüpfte sie in die Rolle eines schizophrenen Verbrechers. Und ebenso wenig konnte sie die Augen vor ihren Wundern verschließen, ohne zu einem liebesunfähigen Monster zu mutieren.
Ja, genau!
, dachte Ellen Cherry Charles.
Yeeh yeeh yeeh yeeh yeeh
Yeeh yeeh yeeh yeeh yeeh yeeh yeeh
Wop za whoppo zeena za-za
Eh, eh-eh, eh eh eeeng
Das ist der Raum mit der Wolfsmuttertapete. Der Raum, der mit einem Sprachbesen gekehrt wird. Ein Raum, in dem Staubflocken glänzen wie Weintrauben.
Das dritte purpurrote Tuch, das sich von der wirbelnden Gestalt des tanzenden Mädchens löste – Salome drehte sich jetzt mehr und wand sich weniger –, hatte Hals und Schultern verhüllt. Und tatsächlich spürte Ellen Cherry, während er zu Boden flatterte wie die durchsichtige Seele einer schmutzigen Socke in ihr Polyester-Paradies, wo irdische Leiden wie Löcher an den Zehen oder Wäschetrockner nur böse Erinnerungen sind – tatsächlich spürte sie, als das Tuch unweit der ausgetretenen schwarzen Schuhe des wie gelähmt dasitzenden Shaftoe zu einem zarten Häuflein zusammensank, wie ein neuer Schwall ihr Gehirn überflutete.
Plötzlich verstand sie, ohne sich eines Grundes dafür bewusst zu sein, dass es zwecklos war, um politische Lösungen für die Probleme der Menschheit zu kämpfen, denn diese waren nicht politischer Natur. Politische Probleme existierten, sicher, aber sie waren völlig nebensächlich. Die wirklichen Probleme waren philosophischer Art, und bis die philosophischen Probleme gelöst waren, müssten die politischen immer und immer wieder durchgekaut werden. Der Ausdruck «Teufelskreis» wurde extra erfunden, um die Wirkungslosigkeit nahezu jeder politischen Aktivität zu beschreiben.
Für die Ethiker war politisches Engagement verführerisch, weil es vermeintlich die Möglichkeit bot, die Gesellschaft zu verändern und Lebensumstände zu verbessern, ohne dass man sich der großen Mühe unterziehen musste, seine eigene Wahrnehmung zu korrigieren und sein Bewusstsein dementsprechend zu verändern. Für die Gewissenlosen war politischer Reaktivismus verführerisch, weil er ihr Eigentum zu schützen und ihre Gier zu legitimieren schien. Doch beide Seiten starrten durch einen Schleier von Illusionen.
Der Sand im Getriebe der Primatenevolution war die Neigung der Herde, ihre politischen Führer – die tonangebenden Männchen – allzu ernst zu nehmen. Diese waren der Herde im Grunde nur dann von Nutzen, wenn diese von räuberischen Wesen aktiv bedroht wurde, ansonsten handelten sie größtenteils zu ihrem eigenen Vorteil und neigten naturgemäß weniger zu größerer Freiheit als zu verstärkter Kontrolle. Wenn sie sich auf die Brust trommelten und die Zähne fletschten, waren sie in Wirklichkeit nichts als Witzfiguren, die man mit respektlosem Spott in ihre Schranken verweisen konnte (wo sie dann eine Art notwendiges Übel darstellten). Hätten beispielsweise die braven Deutschen in den Bierhallen von München, wo Hitler große Reden schwang, ihn etwas weniger ernst genommen, statt dermaßen auf ihn reinzufallen, hätten sie gepfiffen, ihn ausgebuht und mit Wurstpelle beworfen – vielleicht wäre der Holocaust dann zu verhindern gewesen.
Sicher, solange es willige Jünger gab, würde es skrupellose Führer geben. Und willige Jünger würde es geben, bis die Menschheit ein bestimmtes philosophisches Niveau erreicht hatte. Dann würde sie erkennen, dass ihre große Aufgabe im Leben nichts mit einem Kampf zwischen Klassen, Rassen, Nationen oder Ideologien zu tun hatte, sondern eher darin bestand, dass man ganz individuell versuchte, seine Seele zu öffnen, sein Bewusstsein zu erweitern und seine Gedanken zu beflügeln. Auf diesem Weg zur Erkenntnis war die Politik nichts anderes als eine von lärmenden Pavianen errichtete Straßensperre.
Genau! Ja, das stimmt!
, dachte Ellen Cherry.
Eeena eeena eena eena
Eh eh-eh eeena whop
Das ist der Raum mit der Wolfsmuttertapete. Der Raum, wo Vulkane die Aschenbecher mit ihrer feinen Schlacke füllten und selbst das Schlüsselloch eine Fumarole war.
Wie Ellen Cherry selbst zugab, war Kunst das einzige Thema, mit dem sie sich überhaupt auskannte (es sei denn, man zählte das Kellnern mit, und natürlich konnte man es nicht mitzählen). Man könnte sagen, dass sie eine
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