Salomes siebter Schleier (German Edition)
Spezies, deren Männchen zu lächerlichen und häufig brutalen Mitteln griffen, um zu kompensieren, was die Unsichereren unter ihnen als eine unterlegene sexuelle Rolle empfanden. Eines dieser Mittel war die Etablierung einer patriarchalischen Religion und die Neubesetzung der Produzentenrolle mit einer Vaterfigur, obgleich der kosmogonische Hauptdarsteller von Anfang an weiblich gewesen war. Diese Männer, von Eifersucht und Angst geplagt, setzten nicht nur die Große Göttin vor die Tür (die sich lächelnd über alle Arten sexuellen Verhaltens erhob, einschließlich dessen, was die Moderne als «promiskuitiv» oder «pornographisch» bezeichnete), sondern verschwendeten auch Tausende von Jahren und Milliarden von Dollar, um die Tatsache ihrer Existenz zu verschleiern.
Und noch etwas fiel Ellen Cherry ein, als Salomes erster Schleier gefallen war: Sobald eine Gesellschaft Anstalten machte, die Göttin wiederzuentdecken und zu weiblicheren Wertsystemen zurückzukehren, brachte die patriarchalisch konditionierte Psyche Krankheiten hervor, Leiden im wahrsten Sinne des Wortes, die Syphilis etwa im wildromantischen 19 . Jahrhundert oder Aids im Gefolge der sexuellen Revolution während der sechziger Jahre. Diese Krankheiten entstanden nicht durch die sexuelle Freizügigkeit, sondern aus der
Furcht
vor der sexuellen Freizügigkeit, aus der Unfähigkeit der konservativen DNS , sich einem hedonistischen Lebensgefühl anzupassen. Und alles wurde nur noch schlimmer durch das schlechte Gewissen über die Vertreibung der Großen Mutter und die Unterdrückung ihrer Sinnlichkeit, mit deren Hilfe sie immer wieder ihre friedliche Koexistenz mit dem Nichts unter Beweis stellte. Irgendwann aber würde sich selbst Aids totlaufen, irgendwann würden alle Varianten der Fleischeslust wieder aufblühen, denn ob es euch gefällt oder nicht, Herrschaften, so ging es zu in ihrer Welt.
Ja, genau!
, dachte Ellen Cherry Charles.
Yeeh yeeh yeeh yeeh yeeh
Yeeh yeeh yeeh yeeh yeeh yeeh yeeh
Zop de bango zee whee winga
Eh, eh-eh, eh eh haiii
Das ist der Raum mit der Wolfsmuttertapete. Das ist der Raum, wo die Jungs in ihren Blasrohren schliefen, um nicht von den Fledermäusen gebissen zu werden, denen die Mädchen winzige Samtanzüge genäht hatten.
Mit entblößten und verführerisch geöffneten Schamlippen tanzte Salome weiter, drehte sich im Kreis und bog den Rücken durch, bis sich nach etwa zwanzig Minuten ein zweiter Schleier löste und anmutig zu Boden flatterte. Dieser Schleier hatte die Taille und einen Bauch verhüllt, der gleichzeitig rund und flach schien, einen haptischen Halbhügel, der ihren Bewunderern bereits vertraut war, obgleich sie bis zu diesem Augenblick noch keinen Tautropfen aus dem frischen Quell ihres bloßen Nabels geschlürft hatten. Fast gleichzeitig schnappte Ellen Cherry eine weitere Botschaft auf.
«Menschliche Wesen haben keine Gewalt über Pflanzen und Tiere.» Das war die Nachricht, die über ihren geistigen Bildschirm flimmerte.
Menschliche Wesen hatten keine Gewalt über Pflanzen und Tiere. Jedes Gänseblümchen am Wegesrand, jede Sardine im Meer hatte eine Identität, die ebenso ausgeprägt war wie ihre eigene, und einen Status im Leben, der ebenso wertvoll war wie der ihre. Den Alltag von Bäumen und wilden Tieren durcheinanderzubringen, Bäumen und wilden Tieren das Leben zu nehmen (außer wenn es zum Schutz und Erhalt der Menschheit notwendig war), ganze Spezies von Bäumen und wilden Tieren auszurotten – das war arrogant, profan und letztlich ein Bumerang, ein Selbstmordprogramm.
Pflanzen und Tiere – vielleicht sogar Mineralien und unbelebte Objekte – strebten ein partnerschaftliches Zusammenleben mit den Menschen an. Zumal sie, nicht wir, aufgrund ihrer Erfahrung und Vollkommenheit die Seniorpartner waren. Von Pflanzen, insbesondere den psychoaktiven Nachtschattengewächsen und Pilzen, konnte die Menschheit eine Menge lernen. Wenn die Menschen tatsächlich darauf hofften, ihre Evolution rasch genug voranzutreiben, um mit dem technologischen Wachstum auch philosophisch Schritt halten zu können, boten die unmittelbaren, postverbalen Erkenntnisse durch die Einnahme psychotroper Pflanzen möglicherweise eine entscheidende Hilfe. Auf alle Fälle musste jede Zivilisation mit legitimen Überlebenschancen das Wohlergehen und die Bedürfnisse des Nichtmenschlichen berücksichtigen, und das war nicht nur eine pragmatische, sondern auch eine moralische und ästhetische Frage. Die Menschheit
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