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Salomes siebter Schleier (German Edition)

Salomes siebter Schleier (German Edition)

Titel: Salomes siebter Schleier (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Robbins
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ist, dass man durch ihn lesen könnte. Zum Beispiel die
Blechtrommel
, wenn man sich dafür interessierte. Blech strahlt von Natur aus zusätzliche Elektronen ab, und diese überflüssigen Partikel schaffen eine Barriere gegen Säuren im Essen, die sonst die Dose zersetzen und langsam von innen heraus zerfressen würden, so wie politische Überzeugungen die Moral und religiöse Überzeugungen den Geist zerfressen.
    Als Can o’ Beans gegen den Felsen flog, war die Wucht des Aufpralls so groß, dass sein/ihr Stahlzylinder eine Delle abkriegte. Das allein wäre schon problematisch genug gewesen, denn eine äußere Deformation hebt unweigerlich das Gleichgewicht im Inneren der Dose auf. Doch leider war es damit nicht getan. Da sich die Delle unmittelbar über der Schweißnaht befand, brach diese auf und schuf eine zentimeterlange Wunde, durch die Tomatensauce austrat wie Blut.
     
    Eine Prokofjew-Melodie auf den Lippen, schulterte der Mann sein Angelgerät, an dem noch das Preisschild hing, und machte sich frohen Mutes auf den Weg zum Fluss. Fröstelnd stattete die Frau dem Abort des Campingplatzes einen zögerlichen, aber unaufschiebbaren Besuch ab. Sobald beide außer Sichtweite waren, eilten Painted Stick und Conch Shell Can o’ Beans zu Hilfe. Zuerst drehten sie ihn/sie auf die Seite, sodass die Wunde nach oben zeigte, um zu verhindern, dass noch mehr Sauce herausquoll. Als Nächstes schoben sie die Dose – rollen kam in diesem Zustand nicht in Frage – ins Unterholz.
    Conch Shells Aufklärungsexkursion förderte einen abgeschiedenen Felshaufen zutage, der bald vom Sonnenlicht erwärmt werden würde. Painted Stick schleifte die Socke dorthin und schob mit Conch Shells Hilfe die Dose nach. Vielleicht bekam Painted Stick nach reiflicher Überlegung allmählich doch Zweifel an der Wahl seiner Reisegefährten. Er war ein Talisman, eine heilige Gerätschaft, er taugte dazu, den Respekt einer Gemeinde von ekstatischen Gläubigen zu bemessen, aber nicht zur Krankenschwester. Es war Zeit für eine Neubeurteilung der Lage.
    Verwirrt, erschöpft, vielleicht sogar unter Schock, doch außer Gefahr war mittlerweile der alte rote Fußwärmer. Die Löcher in seinem Gewebe waren nicht der Rede wert; damit konnte er leben. Ein paar Stunden in der Sonne würden auch den letzten Tropfen der Feuchtigkeit aufsaugen, die ihm jetzt noch zu schaffen machte. Sauberer, vielleicht sogar klüger als zuvor, würde die Socke weiterleben.
    Den Hüter der Hülsenfrüchte dagegen hatte es ziemlich böse erwischt. Wäre er gezwungen, in einer anderen als seiner jetzigen Position zu liegen – auf der Seite nämlich, sodass die Schweißnaht nach oben zeigte –, würden seine Säfte aufs Neue austreten. Und wäre erst genug Blut geflossen, würden die Bohnen in seinem Inneren zu einer harten, trockenen Masse erstarren. Am Ende würde sich nicht vermeiden lassen, dass Bakterien durch die Wunde eindrangen und den Inhalt zersetzten. Eine verkrüppelte Dose voller Schimmel und Fäulnis. Can o’ Beans war wirklich schwer angeschlagen, eine Weiterreise ausgeschlossen.
    Was tun? Dirty Sock tat gar nichts. Er lag den ganzen Morgen im Stupor und briet in der Sonne wie ein Malocher am ersten Tag eines Billigurlaubs in Hawaii. Can o’ Beans war ebenso still. Spoon wich ihm/ihr nicht von der Seite und strich immer wieder über das aufgeweichte Papieretikett, als wollte sie seine/ihre Wunden mit geradezu zwanghafter Zärtlichkeit heilen. Conch Shell warf ein rosiges Netz ozeanischen Mitgefühls über sie, ohne dass es im Geringsten nützte, während Painted Stick, darauf bedacht, seine Verabredung im fernen Jerusalem einzuhalten, ungeduldig auf und ab marschierte. Die kleinen Hörner zuckten wie Fühler. Was tun?
    Das Szenario war düster und obendrein sterbenslangweilig. Am Nachmittag hatte Can o’ Beans die Nase voll. «Mir ist klar, dass ich wahrscheinlich zurückbleiben muss», erklärte er/sie. «Und ich bin bereit, das zu akzeptieren. Wie heißt es so schön? Pech im Spiel, Glück in der Liebe. Aber ich möchte Sie beide, Miss Shell und Mr. Stick, nicht gehen lassen, ohne wenigstens zu erfahren, warum ich dahin sollte, wo ich jetzt nicht hinkomme. Ich platze geradezu – kleiner Scherz am Rande, haha – vor Neugier … wozu die Reise nach Jerusalem und warum gerade jetzt? Was steckt hinter diesem Marathon? Worin besteht Ihre Mission? Was werde ich verpassen? Lassen Sie mich in der Nacht zurück, aber bitte lassen Sie mich nicht im Dunkeln

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