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Salomes siebter Schleier (German Edition)

Salomes siebter Schleier (German Edition)

Titel: Salomes siebter Schleier (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Robbins
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tappen.»
    Vielleicht brauchten auch sie ein wenig Zerstreuung, etwas, das sie von all den Strapazen und ihrer Verspätung ablenkte; auf alle Fälle machten es sich Conch Shell und Painted Stick in dem wirr herabgestürzten Geröll (es sah aus, als sei der Gott der Berge betrunken nach Hause gekommen und habe überall im Zimmer seine Kleider verstreut) neben der invaliden Bohnendose bequem und versuchten, ihre Neugierde zu befriedigen.
    «Wie bereits erwähnt, stammen wir ursprünglich aus Phönizien, einem großen Handelszentrum am Rand eines sanften blauen Meeres. Phönizien war mit Hügeln und Häfen gesegnet; ein Land voller Leuchttürme, Zedernhaine und purpurrotem Staub auf den Oliven. Es war in zwei Königreiche geteilt, die Stadtstaaten Sidon und Tyros –»
    «Vielleicht interessiert es Sie», unterbrach Can o’ Beans, «dass diese beiden Städte noch existieren. Sie liegen in einem Land, das heute Libanon heißt.»
    Spoon warf Can o’ Beans einen bewundernden Blick zu, als sei sie wieder einmal von seiner/ihrer Intelligenz überwältigt.
    «Das abgefuckteste Land der Welt», grunzte Dirty Sock. «Verzeihen Sie die Ausdrucksweise.» Er hatte keinen Faden gerührt. Niemand hatte überhaupt mitgekriegt, dass er zuhörte.
    «Ein langer Bürgerkrieg hat das Land zerstört», erklärte Can o’ Beans. «Moslems kämpften gegen Juden, wie üblich, aber auch Moslems gegen Christen. Und Moslems gegen Moslems. Jeder bekämpft dort jeden, einschließlich sich selbst. Es ist verrückt. Mörderisch und verrückt.»
    «So sind die Menschen eben manchmal», sagte Conch Shell.
    «Da haben Sie recht», nickte Can o’ Beans. «Aber Menschen in Ihrem Teil der Welt scheinen ein besonderes Talent dafür zu haben. Ich würde nur gern wissen, warum.»
    «Nun, die Juden waren die Ersten, die die Göttin ablehnten», sagte Conch Shell.
    «Und der Islam ist nichts weiter als ein Ableger des Judaismus?», fragte Can o’ Beans.
    Wollte Conch Shell etwa andeuten, dass es ihre Göttin war, die die Juden mit einem Fluch – dem Fluch, dem legendären Fluch – belegt hatte? Und damit den gesamten Nahen Osten? Gab es denn überhaupt einen solchen Fluch, oder war es nur ein verzweifeltes (zuweilen gewalttätiges) Festklammern an engstirnigen, rigiden Glaubenssystemen, das so viel Leid über diese Region und diese Rasse gebracht hatte? War es Schicksal, ein rein zufälliges Aufeinandertreffen von Geographie und Geschichte? Oder gab es noch einen anderen Grund für ihr Leid: etwas Sagenhaftes, Unerforschtes, Undenkbares gar, Umstände, die dem menschlichen Wissen verborgen blieben wie hinter einem … einem Schleier?
    Die Phantomschwimmer in den Gewässern von Can o’ Beans’ Bewusstsein stürzten sich kopfüber in einen Strudel von Spekulationen und machten ein paar hastige Schwimmzüge, doch in seinem augenblicklichen Zustand schaffte er/sie es einfach nicht, die notwendige Konzentration aufzubringen, und so versanken sie schnell wieder in der Tiefe des Unterbewusstseins. Als die Wellen sich gelegt hatten, sagte Can o’ Beans: «Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Sidon und Tyrus an Größe und Bedeutung verloren haben. Heutzutage sind sie nur noch Provinzstädte. Aber Sie wollen ja ohnehin nicht in Ihr Herkunftsland zurück. Sie reisen nicht in den Libanon, das einstige Phönizien, sondern nach –»
    «Wir reisen zur Eröffnung des Dritten Tempels nach Jerusalem», sagte Painted Stick. Das war praktisch die einzige relevante Bemerkung, die er während des ganzen Nachmittags machen sollte. Painted Stick nutzte diese Phase der Exegese als Rechtfertigung für allerlei Kommentare zu den Galaxien, die er beschrieb, als seien es Tintenfässer, in die er wie ein geschäftiger Gänsekiel regelmäßig eintauchen musste.
    «Das klingt, als hätten Sie lange darauf warten müssen.»
    «Ein Großteil der Welt hat darauf gewartet», sagte Conch Shell.
    «Wie das?»
    «O Sir/Ma’am, das wissen Sie nicht?», platzte Spoon heraus, überrascht, auf eine solche Lücke in Can o’ Beans’ Bildung zu stoßen. «Wenn der Dritte Tempel errichtet wird, so heißt es, steht die Wiederkunft Christi bevor.»
    Can o’ Beans zuckte die Achseln. «Dritter Tempel, Wiederkunft Christi. Was soll das?»
    «Die Christen assoziieren die Wiederherstellung des Tempels in Jerusalem mit dem zweiten Auftauchen ihres Gottes Jesus Christus», erklärte Conch Shell. «Die Juden assoziieren sie mit dem
ersten
Erscheinen ihres lange erwarteten Messias, falls es das

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