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Salomes siebter Schleier (German Edition)

Salomes siebter Schleier (German Edition)

Titel: Salomes siebter Schleier (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Robbins
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nächstbesten hohen Konifere erklomm.
    «Hi-hi-Hilfe!», schrie Dirty Sock aus weiter Ferne, und Can o’ Beans kam die grauenvolle Erkenntnis, dass der wild wedelnde Schwanz des Stachelschweins die Socke ins schäumende Wasser des Baches befördert hatte.
     
    Schon richtig, dass Boomer Petway seine Socken nicht allzu häufig wusch (Aristokraten haben noch nie etwas für den Sauberkeitsfimmel der Bourgeoisie übrig gehabt), aber Dirty Sock
hatte
schon ein- oder zweimal im Wasser gelegen. Es war besser als im Maul eines Stachelschweins. Er geriet erst in Panik, als er merkte, dass die Strömung ihn mit solcher Geschwindigkeit davontrug, dass er zum Frühstück zurück in Idaho sein würde.
    Jedes Mal, wenn er sich an die Oberfläche gekämpft hatte, zog die Strömung ihn wieder nach unten. Er hatte keine Kontrolle mehr über sich. Unter Wasser pfeift die Realität ein anderes Liedchen. Zeit und Raum sind zusammengeknüllt wie eine alte Zeitung. Es gibt Licht unter Wasser, selbst bei Nacht, aber es ist ganz anders als die Lichter, die wir alle kennen und lieben.
    Das Licht leuchtet grün wie ein Ungetüm. Hailicht. Fäkalienlicht. Es ist das Licht, in dem der Sensenmann seine Liste durchgeht. Das Licht, in dem unsere Urururahnen aus dem Sumpf krochen, um ihn für immer hinter sich zu lassen. Ein Licht, das durch alte Kohlköpfe gefiltert ist.
    Die Strömung spuckte Dirty Sock gerade so lange aus, dass er um Hilfe schreien konnte, dann zerrte ihn die Meute der wild dahinstürzenden grünen Schaumschläger, die offensichtlich keinen Spaß verstanden, wieder hinab.
    Das war’s
, dachte Dirty Sock.
Ende meines Sockenlebens. Ich werd am Grund dieses gottverdammten kalten Baches verrotten und die knackige Muscheltussi nie wiedersehen.
Er sehnte sich nach der stinkenden Enge in Boomer Petways Wäscheschublade. Wie gern hätte er noch einmal diesen merkwürdig schiefen Klumpen von einem Fuß umarmt, ihn vor verschüttetem Bier und gelegentlichen Funken des Schweißbrenners beschützt. Verdammt, selbst mit diesem Klugscheißer von Bohnendose in der Höhle zu verschimmeln wäre um einiges besser gewesen als das hier.
    Man hofft, solang man lebt, heißt es, doch ist es nicht wirklich so? Erst wenn wir aufgeben und alle Hoffnung fahrenlassen, uns wirklich und wahrhaftig in unser Schicksal fügen, wenden sich die Dinge gewöhnlich zum Besseren. Zen-Meister sagen, dass wir uns erst dann der Heiterkeit – dem idealen Geisteszustand – überlassen, wenn wir überzeugt sind, dass die Lage der Menschheit hoffnungslos ist. Dirty Sock stand nicht gerade auf Zen, dafür enthielt er einfach zu viel Polyester, aber er hatte sich schon so gut wie abgefunden mit seinem nassen Grab, als die Strömung plötzlich abnahm. Seine schlaffe, übel zugerichtete Gestalt wurde in einen ruhigen Tümpel getrieben, wo er sich einen Augenblick um sich selbst drehte und einem Forellenpaar eine Heidenangst vor polymeren Göttern einjagte, bevor er sich an einem im Morast hängengebliebenen Stück Treibholz festklammerte.
    Er wollte schreien, brachte aber nur ein Blubbern zustande.
     
    Über eine Stunde stolperten sie am Bachufer entlang, bevor sie ihn fanden. Conch Shell schwamm zu ihm hinüber und schaffte es, ihn mit ihrem rosigen Hauch wiederzubeleben, konnte ihn jedoch nicht von dem knorrigen Ast befreien. Daraufhin kehrte sie zurück, holte Painted Stick und setzte ihn über. Der Stock kämpfte die Socke frei, und beide gelangten an Bord der Schneckenmuschel ans rettende Ufer.
    Dirty Socks Gewebe war schwer in Mitleidenschaft gezogen; an einigen Stellen hatten die Stachelschweinzähne richtige Löcher hineingerissen. Schlimmer noch, er war von oben bis unten pitschnass, so vollgesogen, dass er keinen Schritt laufen konnte, und in der Kühle der Morgendämmerung bildete sich nun gar eine schimmernde Eisschicht auf seinen Fasern.
    Ziemlich verzweifelt fragten sie sich, was sie machen sollten, als Spoon hinter ein paar Bäumen ein flackerndes Licht erspähte. Da ihnen nichts Besseres einfiel, machten sie sich auf den Weg dorthin. Painted Stick schleifte Dirty Sock an seinen Hörnern mit. Nach kaum hundert Metern kamen sie zu einem Campingplatz, wo sie nicht nur eine himmelblaue Volvo-Limousine, sondern auch eins dieser modischen reißverschlussbestückten Zelte aus der R.E.I.-Rucksackboutique in Seattle und ein munter prasselndes Lagerfeuer entdeckten.
    Obgleich das Feuer erst vor kurzem entfacht worden sein konnte, war von den Campern keine Spur zu

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