Salon der Lüste - 3
Es war nicht die enge Beziehung, die man sich zu einer Schwester wünschte, doch sie musste reichen.
Sie sah dem anderen Wagen noch eine ganze Weile nach länger, als es höflich gewesen wäre. Wie sie bemerkte, war ihre Schwester die Einzige, die noch einmal zurückblickte.
Als sie es tat, hob Ivy die Hand ein wenig und winkte. Rose erwiderte - bis ihre Mutter ihren Arm herunterriss.
»Ist dir nicht wohl?«, fragte Justin besorgt. Natürlich wusste er, wer die Familie war und in welchem Verhältnis sie zu Ivy stand. Wahrscheinlich wusste es ganz London.
»Bring mich bitte nach Hause, Justin.« Nicht dass der Anblick ihres Vaters ihr den Tag ruiniert hätte, aber sie wollte jetzt gern bei ihrer Mutter sein.
»Selbstverständlich.«
Auf der Fahrt zum Maison Rouge fragte Justin sie, ob es neue Erkenntnisse bei der Suche nach dem Mörder gäbe. In diesem Fall, befand Ivy, war Ehrlichkeit nicht die beste Wahl. Erzählte sie Justin, dass sie alle drei Opfer photographiert hatte, könnte er auf die Idee kommen, dass sie Schutz brauchte. Und welchen Schutz hatte sie noch nötig außer dem von Saint und seinen Untergebenen?
»Die Polizei weiß nicht, was sie tut«, antwortete sie ihm stattdessen.
»Und die Presse wird alles berichten, was sich verkauft«, fügte er hinzu. »Was hältst du von den Mutmaßungen, dass Jack the Ripper wieder da ist? «
»Ich hoffe, sie sind nicht mehr als das: Mutmaßungen.«
Er zuckte mit den Schultern. »Gott sei Dank haben die Zeitungen dieser Theorie noch nicht besonders viel Unterstützung zukommen lassen.«
»Nur weil Mrs. Maxwell keine Prostituierte war.«
»Es gibt einige Leute, für die die Bezeichnung >Schauspielerin< bloß ein Synonym für Dirne ist«, merkte er mit einem zynischen Lächeln an.
»Immer noch? Ich hätte gedacht, die Gesellschaft sei mittlerweile weiter. « Sie blickte auf die vorbeirollende Stadt. »Ach ja, Justin, übrigens verabscheue ich dieses Wort. Es gibt viele weniger ehrbare Arten, sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen, als die Ware anzubieten, die man besitzt.«
»Touche. Verzeih mir! «
Den Rest der Fahrt verbrachten sie größtenteils schweigend. Hier und da sagte einer von ihnen etwas, worauf der andere antwortete. Es kam sogar zu kurzen Unterhaltungen, doch keiner von ihnen fühlte sich zum Reden genötigt, und die langen Schweigephasen hatten nichts Unangenehmes.
Was sich als unangenehm entpuppte, war Ivys Ankunft zu Hause. Nachdem er sie zur Tür begleitet hatte, nahm justin sie in die Arme und küsste sie. Er war stark und duftete nach Äpfeln. Sein Mund war fest, warm und liebevoll, doch der Kuss zündete keinerlei Gedanken an vollkommene Hingabe in ihr, obwohl sie lügen würde, wenn sie behauptete, dass sie gar nichts empfand. Mit ein bisschen mehr Anstrengung könnte Justin sie sehr wohl überzeugen, in ihm mehr als einen Freund zu sehen. Sobald Samt fort war.
Er verabschiedete sich von ihr mit einem Lächeln und dem Versprechen, sie bald wieder aufzusuchen. Und Ivy fragte sich, als sie hineinging, wie sie sich fühlte.
Drinnen war alles still bis auf die Bediensteten, die ihrer Arbeit nachgingen, und das eine oder andere Mädchen, das wie ein exotischer Schmetterling durch das Haus huschte. Alle machten sich für das Abendessen und die anschließende abendliche Unterhaltung bereit.
Ivy stieg die breite gewundene Treppe zu ihrem Zimmer hinauf, wo sie vorhatte, sich vor dem Dinner kurz hinzulegen. Schließlich wollte sie am Abend mit Saint an der Mördersuche arbeiten. Bisher hatten sie keinerlei Anhaltspunkte, und mit jeder Spur, die in eine Sackgasse führte, entglitt ihnen der Mörder weiter.
Oben öffnete Ivy ihre Tür und trat in vollkommene Dunkelheit. Sämtliche Vorhänge waren zugezogen, so dass die Nachmittagssonne ausgesperrt war.
Als sie ging, waren sie noch offen gewesen. Trotzdem schloss sie die Tür hinter sich, so dass sie zuerst in kompletter Schwärze dastand.
»Hast du deine Ausfahrt genossen?«, fragte eine tiefe samtige Stimme aus der Finsternis.
Saint lag auf dem Bett, ein Schatten auf den weißen Kissen und Decken, wie Ivy nun ausmachen konnte. Sein Gesicht brauchte sie nicht zu sehen, um zu wissen, dass er sie beobachtete.
Es war unfair, dass er sie so viel deutlicher erkannte als sie ihn. Und was nützte es ihr, dass er tatsächlich in ihrem Bett lag, wenn sie ihn nur als schemenhaften Umriss wahrnahm?
»Ja«, antwortete sie und warf ihren Hut auf den Stuhl vor der Frisierkommode.
»Das habe ich.«
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