Salon der Lüste - 3
darstellten.«
Falls man gleichzeitig erfreut und entsetzt sein konnte, war Ivy es.
»Wenn du recht hast, sind alle Mädchen, die ich noch als gefallene Frauen photographiert habe, in Gefahr.«
»Wie viele sind das?«
Sie überlegte. »Drei: Eliza, Mary und Beatrice.«
»Sind sie noch hier?«
»Mary ja. Normalerweise gehen die Mädchen nur an ihren freien Abenden aus, aber weil wir geschlossen haben und alle so schrecklich traurig sind, besuchen ein paar der Mädchen häufiger ihre Familien. Ich glaube, Eliza ist gestern zu ihrer Mutter heimgefahren, und Beatrice verbringt die Nacht bei ihrer Schwester.«
Saint warf die Decke beiseite und stieg aus dem Bett. »Wir müssen sie finden und zurückholen. Da draußen sind sie nicht sicher.«
»Sie wurden von deinen Männern eskortiert, und beide sollen Nachricht schicken, wenn sie wieder zurückwollen.«
»Ivy, er hat schon ein Mädchen im Haus ermordet. Er kommt überall an sie heran!
«
In seinen dunklen Augen spiegelten sich dieselben Schuldgefühle, die Ivy plagten, und seine blassen Wangen verrieten, dass er auch ihre Angst teilte. Sie wollte nicht noch mehr Freundinnen an dieses Monstrum verlieren. Nein, das ließ sie nicht zu.
Eilig sprang sie aus dem Bett und hob ihre Unterwäsche auf. »Du holst Eliza. Ich hole Beatrice.«
Er zog bereits seine Hose an. »Du gehst nirgendwohin.«
»Saint, du kannst sie nicht beide vor Morgengrauen ins Haus zurückbringen. « Sie schlüpfte in ihr Hemdchen. »Und es muss schnell gehen. Wir beide retten sie.«
»Na gut, aber du nimmst mindestens zwei Männer mit Robert und George, sie sind die besten.«
Nachdem sie ihr Kleid über den Kopf gezogen hatte, drehte sie ihm den Rücken zu, damit er es ihr zuknöpfte. »Was ist mit Mary?«
Unvorstellbar schnell schloss er die Knöpfe. »Ich postiere Wachen vor und in ihrem Zimmer.«
Ivy wandte sich wieder zu ihm. »Versprichst du mir, dass du vorsichtig bist?«
Saint legte ihr seine warmen starken Hände auf die Schultern. »Das bin ich. Du solltest eine Pistole bei dir haben. Und falls es Schwierigkeiten gibt, will ich, dass du sie benutzt.«
Ivy nickte. Sie war keine Mörderin, doch bekäme sie die Chance, den Schweinehund zu erschießen, der die Mädchen umgebracht hatte, würde sie es tun.
Dann küsste Saint sie. Es war ein kurzer, eiliger Kuss, der Ivy dennoch mit einer Kraft erfüllte, von der sie nicht geahnt hatte, dass sie sie besaß.
»Wir retten sie«, sagte er und blickte ihr in die Augen. »Ich verspreche es.«
Und sie glaubte ihm.
Saint versuchte, nicht daran zu denken, dass Ivy allein unterwegs war, besser gesagt: ohne ihn, denn zwei Wachen hatte sie ja bei sich. Er schoss durch den Nachthimmel Richtung East End, wo Eliza Newton einen Großteil ihres Lebens verbracht hatte, bevor sie ins Maison Rouge kam.
Seine Beziehung zu Ivy war unwichtig gemessen an der Notwendigkeit, den Mörder zu finden. Daher verbannte Saint alle Gedanken an sie in seinen Hinterkopf, wo sie hingehörten, und landete auf einem Dach. Es war krumm, und ein paar Schindeln fehlten, doch es trug ihn, und einzig darauf kam es an. Vorsichtig kletterte er die eine steile Seite hinab und blickte nach unten auf die Straße. Das Haus von Elizas Mutter stand gleich gegenüber.
Es war zwar kein elegantes Haus, das in dieser Gegend ohnehin eher deplatziert wirken würde, aber auch bei weitem keine Bruchbude. Soweit Saint sehen konnte, hatte es mehr als ein Zimmer und war warm und gemütlich.
Durch ein offenes Fenster erkannte er Eliza und ihre Mutter, die an einem alten Tisch saßen, Tee tranken und sich einen Teller mit Brot und Käse teilten. Offenbar waren sie beide Frühaufsteher. Elizas Mutter lachte über etwas, das Eliza gesagt hatte, und ihre Tochter beobachtete sie mit einem liebevollen Lächeln auf den Lippen.
Die vertraute Szene rührte Saint auf schmerzliche Art.
Es wäre schön, ein Zuhause zu haben und jemanden, mit dem man es teilen konnte.
Nachdem er sich mit einem raschen Blick vergewissert hatte, dass niemand ihn sah, sprang er vom Dach in eine schattige Nische. Er strich sich Mantel und Haar glatt, während er die Straße überquerte. Gewiss würde Elizas Mutter sie eher mit einem Mann gehen lassen, der halbwegs respektabel aussah, als mit einem, der wirkte, als wäre er eben vom Himmel gefallen.
Neben ihm hielt eine Kutsche. In diesem Teil Londons sah man selten Automobile.
Samt drehte sich um, weil er sehen wollte, ob Jacques Torrent oder jemand anders, den er
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