Salto mortale
antworteten
hunderte im ganzen Haus und übertönten den
grausigen Schlag auf der Bühne.
Heinz fiel neben seinem Bruder zu Boden.
Signor Ercole stürzte herbei und hob den Klei-
nen in die Höhe. Franz schien leblos, die Arme
hingen schlaff an ihm herunter, Blut quoll ihm
aus Mund und Nase.
Bei dem Anblick schnellte sich Heinz em-
por und schrie wie ein Wahnsinniger, wie ein
verwundetes Waldtier in den Zuschauerraum
hinaus, so laut und wild und jammervoll, als
seine Brust konnte. Niemand achtete auf ihn,
man drängte sich heran, jeder von dem Gedan-
ken getrieben, dem Kleinen zu helfen. Ein Arzt
war zugegen, der stieg auf die Bühne, befahl
mit grimmigen Blicken den Vorhang zu senken
und kniete an Franzens regungslosem Körper
nieder.
Als Heinz eine halbe Stunde später sich von
der Bühne wegschlich, schmiegte sich jemand
weich an ihn an, und ein vertrauliches, süßes
Geflüster drang ihm ins Ohr: „Gelt, du hast es
gern getan?“
Es war Bianca. Ihre Stimme klang nicht
etwa vorwurfsvoll, vielmehr heimlich froh,
gleich der einer Mitverschwornen, boshaft und
teuflisch wie jene andere, die Heinz die Kraft
genommen hatte. Den Knaben fror bei dem
Wort, er erinnerte sich an die süße Weise, mit
der der gleiche Mund so oft den armen Franz
umschmeichelt hatte:
„Treu und herzinniglich …“
Er stieß das unheimliche Wesen von sich
und entfloh.
V.
ls Franz aus seiner Betäubung erwachte,
A lag er mit vielen andern in einem großen
Saal; ein Beutel mit Eis senkte sich auf seinen
glattgeschorenen Kopf, der rechte Arm steckte
in einem schweren Verbande.
Neben dem Bette saßen die Mutter und
Heinz, er lächelte ihnen zu, wie er sie durch
die verschleierten Augen hindurch erkannte.
Dem ‚Großen‘ stürzten die Tränen unter den
Wimpern hervor.
Franz schien sich zu besinnen und sagte:
„Gelt, du hast mich fallen lassen?“
Heinz stöhnte etwas Unverständliches,
faßte des Bruders Linke und drückte sie so fest,
als er konnte. Bald schlummerte der Patient
wieder ein, und Mutter und Bruder verließen
den Saal auf den Fußspitzen.
Franz genas rasch. Schon nach drei Wochen
durfte er das Bett verlassen und im Garten des
Krankenhauses sich ergehen, den rechten Arm
trug er vor der Brust in einer Schlinge. Heinz
war beständig um ihn, las ihm jeden Wunsch
von den Lippen ab und sah ihn mit guten trau-
rigen Augen an, die mit jedem Blick etwas ab-
baten und des Bettelns nicht müde wurden.
Man hatte ihn nicht getadelt, oder fast nicht.
Er hätte lieber schwere Strafen über sich erge-
hen lassen, das Geschehene lastete unsäglich
auf ihm, die Zerknirschung schaute ihm aus
den Augen und zitterte in jedem Worte, das
er sprach. Wie ein Schatten schlich er einher,
nur wenn er mit Franz zusammen war, suchte
er heiter zu sein, um den Kleinen nicht auch
traurig zu stimmen. Saßen sie im Spitalgarten
auf einer einsamen Bank oder auf schattigem
Rasen, so fing der Kleine gern von ihrer Kunst
zu plaudern an, er sehnte sich so sehr danach,
sie war ihm das Leben geworden. Heinz litt
Martern bei diesen Gesprächen, ihm schau-
derte bei dem Gedanken an den Riesenrachen,
der nach der Bühne gähnte, und das Herz zit-
terte ihm bei der Erinnerung an den Unglücks-
abend. Aber er ließ es sich nicht merken und
fand sogar die Kraft, seinem Bruder zuzulä-
cheln und zuzunicken und mit ihm Zukunfts-
pläne zu schmieden: „Wenn du wieder ganz ge-
sund bist, dann machen wir das und das und
das …“
Von Zeit zu Zeit erschien Signor Ercole, der
unterdessen Vorstellungen in den benachbarten
Städtchen gab. Er erkundigte sich nach Fran-
zens Befinden, ob ihm der Kopf gar nicht mehr
wehe tue, auch nicht, wenn man darauf drücke
oder er sich bücke, ob er die Finger im Gipsver-
band bewegen könne und keine Schmerzen im
Ellbogen und Handgelenk spüre.
Mit ihm erschien fast immer auch Bianca.
Sie tat, als wäre Heinz gar nicht zugegen, und
überhäufte dafür Franz mit Aufmerksamkeiten
jeder Art, nannte ihn ein armes aus dem Nest
gefallenes Vögelein, einen Schmetterling, dem
ein böser ‚Jung‘ einen Flügel ausgerissen habe,
und ging nie, ohne ihm ihr Lied gesungen oder
gesummt zu haben:
„Hab’ ich doch manche Nacht
Schlummerlos zugebracht,
Immer an dich gedacht, Robin Adair.“
Heinz merkte wohl, daß sie mit diesen Din-
gen weniger seinem Bruder etwas zulieb, als
ihm etwas zuleid tun wollte; aber er war nun
allen Sticheleien gegenüber
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