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Salto mortale

Salto mortale

Titel: Salto mortale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Bosshart
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gestellt: ihm galten die
    Blicke und Zurufe, ihm das ängstlich-glück-
    liche Lächeln der Mutter. Er hätte in Tränen
    ausbrechen mögen, er merkte, daß sich sein
    Gesicht verzerrte, und er neben dem Bruder
    häßlich aussah.
    Franz riß ihn aus seinem Brüten und führte
    ihn zu der Treppe zurück. Die beiden faßten
    sich bei den Händen und der Kleine schwang
    sich, wie von unsichtbaren Schnellfedern geho-
    ben, Kopf unten, Füße oben, in die Höhe, über
    den Scheitel des Bruders, der ihn mit seinen
    kräftigen Armen stützte und dann langsam
    senkte, bis ihre Scheitel sich berührten. Die
    Hände ließen sich los, Franz stand mit dem
    Kopf frei auf dem Kopfe des Bruders, sich, wie
    es schien mühelos, im Gleichgewicht haltend,
    und wurde in dieser halsbrecherischen Lage
    von Heinz über die Treppe und zurück getra-
    gen. Die Zuschauer trauten ihren Augen nicht,
    sie wagten kaum zu atmen, aus Furcht, der
    kleinste Hauch könnte den Wagehals aus dem
    Gleichgewicht und zu Fall und Elend bringen.
    Die Mutter schloß die Augen, das Herz stockte
    ihr, sie erwartete in Todesängsten einen Schlag
    auf der Bühne und einen gräßlichen Schrei …
    Die Knaben langten wieder vorn an der
    Rampe an, Franz stützte seine Arme dem
    Bruder auf die Schultern, stemmte sich in die
    Höhe und setzte in einem Purzelbaum auf den
    Boden.
    Der Saal atmete wie eine einzige Riesen-
    brust, die am Ersticken war, erleichtert und
    geräuschvoll auf, dann brauste es der Bühne
    entgegen, wie noch nie den ganzen Abend.
    Nach der überstandenen Angst kam ein
    Taumel über die Mutter, sie klatschte wie
    wahnsinnig und schrie „Bravo!“ und hätte am
    liebsten in den tosenden Saal hineingerufen:
    „Schaut mich an! Das ist mein Bub’ und ich bin
    seine Mutter!“
    Der Raum wurde wieder still. Auf der
    Bühne war ein eiserner Apparat angebracht, an
    dem man eine Stange, die oben in Mannshöhe
    eine wagrechte Scheibe trug, und eine Kurbel
    unterscheiden konnte. Auf der Scheibe hatte
    sich Heinz auf die Hände gestellt. Signor Er-
    cole rückte ein Leiterchen herbei, an welchem
    Franz flink wie eine Katze emporkletterte.
    Oben angelangt, legte er die Hände flach auf
    des Bruders Fußsohlen und erhob sich dann
    mit langsamer, sicherer Bewegung empor zum
    Hochstand, so daß nun beide Knaben in glei-
    cher Stellung, Kopf unten, Füße oben, sich
    übereinandertürmten, der eine mit den Hän-
    den auf der Eisenplatte, der andere hoch oben
    auf des Bruders aufragenden Füßen stehend.
    „Das ist Gott versucht!“ rief eine Frauen-
    stimme mitten aus dem Zuschauerraum und
    sprach aus, was den meisten auf den Lippen
    war.
    Signor Ercole aber griff, nachdem er die
    Leiter an eine Wand gelehnt, lächelnd nach
    der Kurbel und begann sie langsam zu drehen,
    und damit drehte er die Eisenplatte und das
    Brüderpaar, das darüber schwebte, und das bei
    jeder Blutwelle, die aus dem Herzen getrieben
    wurde, leicht erbebte.
    Das Haus wurde unruhig, manche erhoben
    sich in der Aufregung von ihren Sitzen, andere
    hielten die Hände vor die Augen oder machten
    ihrer Beklemmung Luft, indem sie abgebro-
    chene Worte und Silben ausstießen.
    Als auf der Bühne die Scheibe ihre Drehung
    vollendet hatte, wechselte Franz seine Stellung,
    indem er sich aufrecht auf seines Bruders Füße
    stellte. Die Zuschauer wurden ruhiger, das war
    doch nicht mehr so grausig wie zuvor. Sie hat-
    ten zu früh aufgeatmet, neues Entsetzen malte
    sich auf allen Gesichtern: Franz bog sich in
    Nacken und Kreuz zurück, langsam, immer
    tiefer, bis das Hinterhaupt fast den Rücken
    berührte und es schien, man habe ihn in der
    Mitte des Leibes gefaltet. Wie er tief unter
    sich den Boden erblickte, überschlug er sich,
    setzte auf den Teppich, der dort ausgebreitet
    lag, und lächelte vergnügt dem Zuschauer-
    raum und den entsetzten Gesichtern zu. Das
    war sein berühmter Salto mortale, der ihm so
    viel Ruhm eintrug, um den ihn sein Bruder so
    oft beneidete.
    Als das Wagnis zum guten Ende geführt
    war, machte das Entsetzen lärmendem Jubel
    Platz. Betäubend erschallte der Saal, Blumen
    flogen dem kleinen Wagehals zu, um dessen
    Leben man eben noch gezittert hatte, der wäh-
    rend einer unendlich langen Minute alle bis in
    die Seele hinein hatte erstarren lassen.
    „Bis! Bis!“ fing es in einer Ecke zu gellen an.
    „Nein! nein!“ antwortete die Furcht aus einer
    andern. Und nun begann ein Kampf der „Bis“
    und der „Nein“, und wogte, bis die letztern in
    der Brandung

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