SALVA (Sturmflut) (German Edition)
Risiko gegangen. Ich hatte gesehen, was mit meiner Vater passiert war.
Sie kamen und holten ihn und dann war er fort. Für immer. Es ging ganz schnell.
Es war ganz einfach für sie. Würde Radu mich wegschaffen, wenn er müsste? Ich
wollte glauben, dass ich immer noch genug 'Schwester'für ihn war, damit
er das nicht tun könnte aber ich war mir nicht mehr sicher. Bei den
Schutztruppen zu sein, veränderte die Menschen. Ich hatte es schon oft bei
Männern aus der Nachbarschaft gesehen. Ich kannte sie nie wirklich gut aber die
Veränderung war spürbar gewesen und ihre Familien hatten sich mit ihnen
verändert. Autorität und Macht zu besitzen kann jemanden vollkommen wandeln und
die Menschen um einen herum in ein tiefes Loch stürzen. War Radu das bewusst?
Würde er etwas darauf geben, wenn ich es ihm sagen würde? Er hatte heute
versucht mit mir zu reden. Es war eine Annäherung. Vielleicht tat es ihm Leid,
vielleicht glaubte er, keine andere Wahl gehabt zu haben und ich hatte ihn
abgeschmettert. Aber warum von allen Entscheidungen auf dieser Welt, musst es
die, für die Schutztruppen sein? Und was hatte diesen Wandel in Ihsan bewirkt?
Er sagte mir sonst immer alles, es gab nie einen Grund mir etwas zu
verschwiegen. Ich verstand einfach nicht, was ihn dazu bewegte, sich Hals über
Kopf in diese Sache stürzen zu wollen. Was war nur vorgefallen und warum konnte
ich dieses Ungute Gefühl nicht abschütteln? Ich drückte den Kopf ins Kissen und
schlief langsam ein. In der Nacht träumte ich, ich würde Radus toten Körper in
den Armen halten und hysterisch schreien, bis ein Mann in Uniform kam und eine
Waffe auf mich richtete. Es war mein Vater. Er schoss auf mich und für eine
gefühlte Ewigkeit glaubte ich im Traum zu verbluten.
2
Es
war noch dunkel, als ich wieder aufwachte. Ich hatte kaum vier Stunden
geschlafen und mein ganzer Körper schmerzte. Keine Ahnung, ob es
Entzugserscheinungen waren oder der Alptraum mich so ausgelaugt hatte. Ich
wollte nicht aufstehen, weiter schlafen konnte ich aber auch nicht. Zu groß war
die Angst, wieder einen Alptraum zu haben. Ich setzte mich auf und bemerkte,
dass Radu in meiner Tür stand. Er lehnte in grauer Jogginghose und einem weißen
Shirt an meinen Türrahmen und sah selbst so aus, als wäre er gerade erst
aufgewacht.
„Du sprichst im Schlaf.“ Diese Aussage
kam ohne die geringste Vorwarnung. Ich spürte das Blut in mein Gesicht
schießen. Was hatte ich gesagt? Was hatte er gehört?
„Ich hatte einen Alptraum.“ Warum ich
ausgerechnet das als Antwort sagte verstand ich selbst nicht. Ich hätte mich
sofort dafür ohrfeigen können. „Warum bist du schon wach?“ Es war die erste
Frage, die mir in den Sinn kam um vom Thema abzulenken.
„Ich konnte auch nicht gut schlafen.
Darf ich rein kommen?“ Es war schon eine Weile her, dass Radu in meinem Zimmer
war. Die Konfrontation von gestern war mir noch gut im Gedächtnis geblieben,
doch nach meinem Traum konnte ich nichts von der Wut in mir finden. Wir waren
wieder am Anfang, mit einem weiten Graben zwischen uns. Nur dass er beschlossen
hatte wieder einen Schritt auf mich zuzumachen.
„Sicher.“ Radu kam in mein Zimmer und
setzte sich zu mir auf das Bett. Ich sah ihn nur an und schwieg.
„Eins will ich gleich klarstellen: Ich
bin nicht hier um mich zu entschuldigen.“ Und mit einem Mal entfernte er sich
wieder zwei Schritte von mir. Die Wut war wieder da.
„Was willst du dann?“
„Ich wollte etwas loswerden.“ Er
starrte nur den Fußboden an und schien nervös zu sein, doch ich konnte mir
nicht erklären wieso. „Ich habe diese Entscheidung nicht getroffen, um deine
Gefühle zu verletzen. Es hat nichts mit dir zu tun. Ich tue das weil... ich
muss. Verstehst du? Es ist das Richtige für mich und ich war die letzten Wochen
nicht abweisend, weil ich deine Einstellung nicht verstehe, sondern weil ich
weiß, wie schwer es dir fällt damit umzugehen.“
„Du musstest zu den
Schutztruppen gehen?“
„Siehst du, genau das ist es! Warum
kannst du mich nicht verstehen?“ Auch er wurde wieder wütend, ich ahnte, wo
dieses Gespräch hinführen würde. Er konnte so stur und absolut in seiner
Meinung sein. Ich wollte selbst so dringend mit ihm darüber reden, ich wollte
es verstehen, wollte ihn umstimmen, versuchen ihn wissen zu
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