Salz auf unserer Haut
Orchester kommt ihnen im passenden Augenblick zu Hilfe, und sie mischen sich unter die Paare, die auf die Tanzfläche zusteuern. Inzwischen hat ja sogar die Musik einen politischen Beiklang, deshalb spielen die Musiker JamaikaMelodien in amerikanischer Sauce, um die Kunden nicht zu verschrecken. George hat eine eng anliegende schwarze Bluse angezogen, deren Ausschnitt von einer Spitzenreihe gesäumt ist. Sie trägt sonst nie Schwarz und nie Spitzen, aber sie ißt ja auch nie in Jamaika mit einem bretonischen Fischer zu Abend. Diese Spitze wirkt etwas halbseiden, aber heute abend muß das sein. Sie haben sich schon so lange nicht mehr gegenübergesessen, daß sie vergessen haben, in welcher Sprache sie miteinander redeten. Das ist dumm und aufregend zugleich.
Langsamen Schrittes kehren sie die Strandpromenade entlang zum »Kondominium« zurück. Die curios Läden sind geschlossen, die supermarkets haben ihre Lichter gelöscht, und das Meer glitzert einfach so, zum Spaß. Sachte machen sie sich gegenseitig zahm. »Ich wohne hier, im siebzehnten Stock«, sagt George. »Kommen Sie mit hinauf zu einem Drink?«
Sie blicken die Fassade des riesigen Bienenhauses hoch: In jeder Wabe ahnt man ein Paar, sicherlich ein legitimes, es handelt sich ja um eine amerikanische Enklave hier… Auf jeder Terrasse hört man die Eiswürfel klirren in den Rumpunschs, aus denen alternde Männer die Glut und die Inspiration schöpfen, die ihre perfekten, frisch frisierten und deodorantbesprühten Weibchen von ihnen erwarten.
Im Lift wird Gauvain endlich ordinär. Das Gesicht bleibt ausdruckslos, aber den gewölbten Teil seiner Hose preßt er gegen Georges Hüfte. Sie streicht mit der Hand darüber, und wie aus Versehen eckt sie an der Stelle an, die vortritt. »Guten Tag«, sagt der Schwanz. »Schön, Ihnen zu begegnen«, antwortet die Hand. Ihre Körper konnten schon immer miteinander reden. Warum haben sie sich nicht gleich daran erinnert? Die beiden anderen Paare im Aufzug haben nichts bemerkt. Man schwebt seiner Zelle zu, begleitet von klebriger Musik, der Ekstase entgegen, die das Plakat an der Kabinenwand zwischen den Zeilen verheißt: »Dolce Farniente in der betörenden, duftgeschwängerten Luft einer tropischen Insel… Das wilde, freie Leben, mit dem Komfort, den Sie sich wünschen.«
Beide lehnen sie sich an die Brüstung ihrer betörenden, duftgeschwängerten Terrasse und gesellen sich somit zu den zwölfhundert Paar wilden, freien Augen, die auf den endlich menschenleeren Strand hinunterblicken; nur ein paar Schwarze in orangefarbenen Uniformen sammeln die Plastikverpackungen, die leeren Bierflaschen und Sonnencremetuben ein. Jeder genießt seine Portion wildes, freies Glück.
George hat nicht gewußt, wie kommerzialisiert Urlaub sein kann, und sie ahnt, daß sie eine perverse Freude daraus schöpfen wird. Sie beginnt auch schon, die vulgären Reize des Gebotenen auszukosten, und zustatten kommt ihr dabei die Erinnerung an all die von Sydney organisierten Kulturreisen, in Bussen mit zweifelhaftem Komfort, jene Entdeckung des Berri mit der »Gesellschaft der Freunde von George Sand« oder die der Schätze von Brügge unter der Obhut von Mademoiselle Pannesson, die die vom Louvre veranstalteten Kulturausflüge begleitet, Abfahrt Place de la Concorde jeden Sonntagmorgen um sechs. Nichts wird ihr die Freude vermiesen, die sie in sich aufsteigen spürt, denn alles ist auf lächerliche Weise dazu angetan, sie zu fördern. Wo doch im wahren Leben alles so schwierig ist. Kaum haben sie ihr Appartement betreten, da drückt Gauvain seine Lippen auf ihr Dekolleté. Sicherlich ist es die schwarze Spitze, die da funktioniert. Mit einem Finger gleitet er unter den Träger ihres Büstenhalters, eine tückische Manipulation, denn er kennt ihre Schwachstelle, aber sie hält sich zurück. Sich gleich auszuziehen hieße das Spiel verderben. Sie haben zehn Tage Zeit, um sich wie Tiere zu benehmen, und schließlich warten sie ja erst drei Jahre aufeinander! Heute abend, so hat George heimlich beschlossen, werden sie Belami und die Lilie im Tal spielen. »Was darf ich Ihnen anbieten?« fragt sie. »Sich selbst… als Knabbermischung.«
Nein, schreit die Anstandsdame auf, das darf nicht wahr sein. Eine Replik wie diese würde nicht einmal in einer billigen Boulevardkomödie durchgehen. ‒ Deshalb liebe ich ihn aber, sagt George. So kann ich mit den andern nicht spielen. Also rutsch mir den Buckel runter, ja? ‒ Und dieser Livingroom hier,
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