Salz der Hoffnung
Haftentlassung?«
»Nein.«
»Und einen wie ihn hat man einfach so auf die Nordsee hinausfahren lassen. Mein Gott! Wie schafft man es überhaupt, eine ganze Regierung auf einen Schlag zu verhaften? Wie unverfroren muß man sein, um so etwas zu wagen?«
»Anscheinend hatte man sie gepackt, ehe sie noch Zeit hatten zu protestieren.«
»Aber wer hat sie gepackt? Unsere Seeleute oder ihre eigenen Leute?«
»Dieser Teil der Geschichte ist ein wenig unklar. Aber Sie können darauf wetten, daß Jorgensens Männer keinen Augenblick gezögert haben, seine Befehle zu befolgen. Offenbar hat er dann die Einwohner der Stadt auf einem Platz versammelt und den Sieg der Sache des Volkes ausgerufen. Sie haben ihn begeistert gefeiert.«
Hawkesbury unterbrach ihn. »So, jetzt kommen wir langsam weiter. Die Briefe des Obersten Richters von Island erwähnen davon nichts. Woher haben die Zeitungen also diese Information?« Noch während er die Frage stellte, dämmerte ihm die Antwort. »Doch nicht von Jorgensen selbst?«
»Ich fürchte, doch.«
»Ja, das sieht diesem großspurigen Kerl ähnlich. Überrascht mich eigentlich gar nicht. Aber auf welchem Weg?«
»Die Presseleute wollten nicht verraten, wie er es geschafft hat, eine Nachricht nach England hineinzuschmuggeln. Doch dabei lasse ich es nicht bewenden. Ich habe den militärischen Geheimdienst darauf angesetzt.«
»Und weiter. Jorgensen hat also große Reden an das Volk geschwungen? Welchen Inhalts?«
»Er hat die Regierung des Landes an sich gerissen. Er hat dem isländischen Volk das Recht zugesprochen, sich von aller Fremdherrschaft loszusagen. Er will dafür sorgen, daß sie nie wieder unter der sträflichen Vernachlässigung einer fremden Oberherrschaft zu leiden haben, daß sie fortan ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen können. Er hat einen unabhängigen isländischen Staat proklamiert.«
Baron Hawkesbury, der Graf von Liverpool, lehnte sich in seinem roten Polstersessel zurück, trank seinen Whiskey in einem Zug aus und reichte Castlereagh sein leeres Glas, der die silberverzierte Karaffe neben sich nahm und beide Gläser wieder füllte.
»Bewundernswerte Absichten«, meinte Hawkesbury, »kommen aber äußerst ungelegen. Ich will eine Kopie sämtlicher Briefe oder Nachrichten, die die Zeitungen erhalten haben. Und keine Ausflüchte.«
»Ich habe darum gebeten, daß man mir diese umgehend nach Hause schickt«, antwortete Castlereagh.
»Nicht bitten, damit ist es vorbei. Verlangen Sie die Abschriften, berufen Sie sich auf das Kriegsrecht! Nun zur weiteren Aufklärung dieses Debakels. Jorgensen hat also die Regierung übernommen … Was ist mit dem isländischen Parlament?«
»Jorgensen hat den Mitgliedern ihres Unterhauses ein Ultimatum gestellt«, berichtete Castlereagh seufzend und kreuzte die Beine in den knielangen Hosen und makellosen weißen Seidenstrümpfen. »Und vor der versammelten Bevölkerung fand er es wohl nicht angebracht, sich besonders diplomatisch auszudrücken. ›Ihr behaltet euer Amt, wenn ihr für die Unabhängigkeit seid. Wenn nicht, dann geht besser gleich, ihr werdet nicht mehr gebraucht.‹ Erschreckend einfach. Der klassische unblutige Staatsstreich. Die meisten Abgeordneten blieben, der Rest floh. Unter Ihnen auch Richter Stephensen. Er hat sich in die Berge geschlagen und bitterböse Briefe an unseren Premierminister und Gott weiß, wen sonst noch, geschrieben.«
»Ja, er scheint zu glauben, England sei in Island eingefallen. Und warum soll er das auch nicht glauben. Englische Schiffe, englische Flaggen, eine englische Mannschaft. Was für ein verdammter Schlamassel! Und wie mag dieser Irrsinn enden? Jorgensen hat die Regierung an sich gerissen. In wessen Namen? Wir wissen beide, daß er es todsicher nicht im Namen Englands getan hat.«
»O nein. Er hat die Unabhängigkeit im Namen des isländischen Volkes verkündet und sich selbst zum Anführer erklärt. Und da es nicht länger zum Territorium eines anderen Staates gehört, macht ihn das zum Staatsoberhaupt. Verfolgt man diesen Gedanken bis zum Ende, was Jorgensen zweifellos getan hat … da er kein gewähltes Mitglied ihres Parlaments ist, auch nicht der Premierminister, steht er außerhalb des Gesetzes,
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