Salz der Hoffnung
Marias Mann verschwunden war, davongesegelt über den Horizont, um irgendwo neue Welten zu erschließen, nur um dann Sträflinge dorthin zu schaffen, so führte Maria doch ein abwechslungsreiches Leben und erfreute sich eines großen Freundeskreises, der hauptsächlich aus Leuten von der Armee oder Marine bestand. Regal war verblüfft, was für ein lebenslustiges Volk diese älteren Leute waren; ständig planten sie Gesellschaften, Dinners oder andere Unterhaltungen. Das schien ihre Hauptbeschäftigung zu sein. Maria war glücklich, sie beide bei sich zu haben, und sie und Edwina genossen es, Regal zu verschiedenen gesellschaftlichen Anlässen mitzunehmen, denn auch Edwina hielt nichts davon, zu Hause herumzusitzen. Sie war wild entschlossen, sich einen Engländer zwecks Heirat zu angeln. Seit sechs Monaten waren sie nun schon in London, doch es schienen nicht viel mehr als ein paar Wochen zu sein, so viel hatten sie zu tun, so viele historische Stätten zu besichtigen. Es war eine riesige Stadt, und das gefiel Regal ganz besonders. Sie genoß das Gefühl, sich einfach von der Menge treiben zu lassen, anonym zu sein, wenn es ihr gelegentlich gelang, zu entwischen und auf eigene Faust loszugehen. Verglichen mit dieser lärmenden Metropole war Boston ein Dorf, ein Ort wo nichts, was man tat, je unbemerkt oder ungetadelt blieb. Das hatte sie immer gestört. Vielleicht lag es an ihrer »Herkunft«, wie Großvater es immer ausgedrückt hatte. Die Menschen starrten sie an. Vielleicht war es ihr aber auch nur so vorgekommen. Wie dem auch sei, nun war sie aus dieser Glasglocke ausgebrochen und würde niemals zurückkehren. Sollten sie doch alle zur Hölle fahren …
Maria Collins hatte ihr gesagt, die Londoner Damen nähmen zu ihren Spaziergängen Lakaien mit, die ihnen in respektvollem Abstand folgten, um sie zu beschützen. Aber davon wollte Regal nichts wissen, es hatte zuviel Ähnlichkeit mit den prüfenden Blicken, die sie in Boston verfolgt hatten. Jetzt war sie frei und entschlossen, ihr eigener Herr zu sein.
Bei Martins am Berkley Square gab es das köstlichste Eis, und Regal genoß es, in ihrer Kutsche unter den hohen, schattenspendenden Bäumen zu sitzen, Eis in den verschiedensten Geschmackssorten zu bestellen und dabei die feinen Leute vorbeiflanieren zu sehen. Die Kellner brachten die Eisbecher direkt zu den Kutschen, und sie fühlte sich sehr weltgewandt, wenn sie da so allein saß und den Damen zuhörte, die mit ihren Kavalieren lachten und plauderten. Als Edwina von Martins hörte, wollte sie unbedingt mitkommen, und auch wenn Edwina für ihr Alter eine ganz unterhaltsame Gesellschafterin war, so war es doch nicht mehr dasselbe. Hin und wieder war Regal gern allein. Ganz für sich. Edwina hatte gesagt, sie sei verschlossen, und vielleicht stimmte das auch, doch Edwina versuchte ja auch ständig, sie darüber auszufragen, was in Leonard Rosonoms Briefen an sie stand. Dabei waren es lediglich Geschäftsbriefe. Leonard verwaltete ihr Vermögen daheim sehr umsichtig. Er hatte einige Gesellschaften in ihrem Namen gegründet, was sie ausgesprochen spannend fand. Es sei notwendig, hatte er erklärt, um ihre Investitionen zu streuen. Es gab eigentlich keinen Grund, warum Edwina diese Briefe nicht lesen sollte, bis auf die Genugtuung, die es Regal bereitete, all diese Dinge für sich zu behalten. Leonard plante vorausschauend, beschrieb die Einzelheiten verschiedener Objekte und Investitionen und ließ ihr die Wahl. Auch schlug er vor, sie solle in Kohle und Schiffahrtsgesellschaften investieren. Regal verneigte sich tief vor ihrem Spiegelbild. Ihre private Welt der Hochfinanz fand sie ungeheuer aufregend, viel zu schade, um dieses Geheimnis mit irgend jemandem außer Leonard zu teilen.
Im Korridor betrachtete sie das Portrait von David Collins. Es ist eigenartig, dachte sie, daß Marias Mann da unten am anderen Ende der Welt lebt. Ich würde ihn umbringen dafür. Oder darauf bestehen, daß er mich mitnimmt. Aber Maria schien es überhaupt nichts auszumachen, und sie war ungeheuer stolz auf ihn.
»Regal, beeil dich!« rief Edwina. »Wir warten.«
Sie sprach davon, sich ein eigenes Haus in London zu nehmen, weil der große Colonel Collins bald zurückerwartet wurde und ihre Anwesenheit dann als störend empfunden werden könnte. Es war zu schade. Regal fühlte sich sehr wohl am Portman Place.
Sie
Weitere Kostenlose Bücher