Salz und Asche - Roman
Gewissen. Ich bin seit einigen Tagen sicher, dass Regine ein Kind erwartet.«
Regine sah sie mit großen Augen an. »Was? Was heißt das?«
Lenhardt stöhnte und schlug sich die Fäuste gegen die Stirn. Regine ging zu ihm und strich ihm über den Arm. »Ist das etwas Schlimmes?«
»Sie hat Schutz bei dir gesucht. Wie konntest du nur?«, sagte Susanne müde und ließ sich auf der Bettkante nieder.
Er schwieg, das Gesicht in den Händen verborgen. Regine streichelte ihn, und Susanne sah ihr zu. Warum war sie davon ausgegangen, dass ihre schöne Schwester ein Kind bleiben würde? Sie war nicht weniger zur Frau gereift als sie selbst. Vielleicht konnte sie ihre Sehnsucht nicht benennen, aber was Regine für Lenhardt fühlte, war offensichtlich
mehr als kindliche oder freundschaftliche Zuneigung. Wie hatte sie das übersehen können? Es nahm Lenhardts Vergehen nicht die Schwere, doch gerade ihr stand es nicht zu, darüber so rasch zu urteilen.
Es klopfte an der Tür, und Elisabeth Lossius trat mit einer Magd im Gefolge ein.
Hastig richtete Lenhardt sich auf und wich von Regine zurück. Mit einem flehentlichen Blick bat er Susanne, zu schweigen.
»Wir müssen Nachricht zu Meister Büttner schicken«, sagte er.
Seine Mutter tätschelte ihm den Arm. »Das habe ich veranlasst. Nun geh du und kleide dich um, mein Sohn. Du siehst ja aus, als wärest du in den Fluss gesprungen.«
Sie ließ Regine und Susanne mit der Magd und den trockenen Sachen allein. Die freundliche Magd ging, nachdem sie ihnen beim Umkleiden geholfen und ausgiebig Regines Haar bewundert hatte. Susanne war erleichtert, dass Regines Bauch sich noch nicht wölbte. Nur wer sie kannte, konnte sehen, dass ihre Taille nicht mehr so schmal war wie noch zwei Monate zuvor.
Frau Lossius hatte Regine, die ihr in der Statur ähnelte, eines von ihren eigenen Kleidern überlassen. Susanne dagegen trug das gute Kleid einer der Mägde, in dem sie sich wohlfühlte. Sie betrachtete mit einer Mischung aus Schmerz und Stolz das Bild, das ihre Schwester abgab, als sie mit ihren offenen Haaren in dem prächtigen Kleid in einem Lehnsessel beim Fenster Platz nahm.
»Warum bist du heute in den Fluss gestiegen, Gine?«
Regine sah sie kummervoll an. »Es ist so schwer mit mir, Suse. Alle haben es schwer mit mir, und mir tut so oft der Kopf weh, weil alles so schwierig ist und ich mich nicht erinnern
kann. Und mir ist oft elend und ich bin müde. Das Leben ist nicht schön. Es ist nur gut, wenn Lenhardt kommt oder wenn du mit mir spazierengehst. Aber du gehst nicht mehr mit mir spazieren. Ich glaube, es wird dir zu schwer mit mir. Immer musst du mich vor den anderen in Schutz nehmen. Ich wollte sehen, ob es Hochwasser gibt. Aber als ich zur Bleiche kam, war ich müde. Da fiel mir die tote Frau ein, die im Fluss lag. Ich habe mich erinnert. Du hast gesagt, sie wacht nicht wieder auf. Und ich war so müde. Aber im Wasser hatte ich Angst, und ich habe gehofft, dass du kommst oder Vater oder Lenhardt.«
»Ich dachte, du hättest die tote Frau vergessen.«
»Nein. Alles vergesse ich nicht.«
»Vor allem darfst du nicht vergessen, dass ich furchtbar traurig wäre, wenn ich dich nicht mehr hätte.«
»Aber du willst Lenhardt heiraten, und ich bin so müde.«
»Du hast Lenhardt lieb, nicht wahr? Würdest du ihn gern selbst heiraten?«
»Ich heirate doch nicht. Anje sagt das. Und die Frau in der Dornse hat es auch gesagt. Und Lenhardt will dich heiraten.«
»Kannst du dich gut an die Nacht erinnern, in der du hier bei Lenhardt warst?«
»Ja. Nein.«
Susanne seufzte und setzte sich wieder zurück auf die Bettkante. »Meinst du, Lenhardt hat etwas mit dir gemacht, das du nicht wolltest? Etwas, das du nicht mochtest?«
»Nein. Oder ja. Suse, ich weiß das nicht. Es ist so durcheinander.«
Abermals klopfte es an der Tür. Lenhardt kam erst herein,
als Susanne ihn hereinbat, und er blieb mit einem Ruck stehen, als er Regine in ihrem schönen Kleid da sitzen sah. In seinem Gesicht spiegelte sich heillose Verwirrung. Er ging vor Susanne in die Knie und ergriff ihre Hand, die sie ihm regungslos überließ. »Ich weiß, dass du mir das nur schwer verzeihen wirst, denn ich verzeihe es mir selbst nicht. Aber du musst mir glauben, dass ich ihr keine Gewalt angetan habe. Ich könnte es nicht ertragen, wenn du mir das zutrautest. Regine hatte Angst vor dem Unwetter. Sie sollte hier schlafen, doch sie kam in meine Kammer. Sie ist … Deine Schwester ist kein Kind, Susanne, und ich … Es
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