Salz und Asche - Roman
ihm auf der Diele erschien bereits eine Magd mit einem Lappen und entfernte den Schmutz, den er mit seinen Schuhen und dem nassen Mantel hereingetragen hatte. »Sie war nicht hier.«
Es erschien Susanne wie ein Albtraum, als sie erneut in strömendem Regen die Stadt durch das Rote Tor verließ. Zu ihrem Glück war es diesmal weniger kalt und stürmisch, doch mit jedem Schritt wuchs ihre Furcht.
Tatsächlich lagen die Bleichwiesen verlassen da. Umso größer war ihre Überraschung, als sie näher ans Wasser traten und hinter dem Bewuchs der Böschung auch die nächste Biegung der Ilmenau einsehen konnten. Regine stand mitten im Fluss, bis zur Brust im Wasser, ihre nassen blonden Haare umspielten ihre Gestalt und bewegten sich mit der Strömung. Sie hatte beide Hände vor dem Gesicht und weinte.
Susanne lief am Ufer entlang, um zu ihr zu gelangen, doch ehe sie ins Wasser steigen konnte, sprang Lenhardt schon hinein. Regine schrak zusammen und starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an, streckte ihm jedoch die Arme entgegen, als sie ihn erkannte. Er plantschte gegen die Strömung an, bis er Regine aufheben konnte, und trug sie ans Ufer. Susanne stützte ihn, als er aus dem Wasser stieg, doch er bemerkte sie gar nicht. Er stellte Regine auf die Füße, ohne sie loszulassen. Auch sie hielt sich weiter an ihm fest. Sie hatte die Arme um seinen Nacken gelegt, schmiegte sich an ihn, und er hielt sie in seinen Armen, wie ein Mann eine Frau hielt. Sie waren ein wunderschönes Paar.
Susanne war nicht entsetzt, als sie begriff. Es war ihr, als hätte sie endlich die Lösung eines schwierigen Rätsels gefunden. Ihr Verstand sagte, dass dadurch nichts einfacher für sie wurde. Dennoch war sie erleichtert.
Schließlich erinnerte Lenhardt sich an sie und sah sich zu ihr um. »Sie ist ganz kalt. Wir müssen uns beeilen.«
Wortlos legte Susanne Regine ihren Mantel um, während diese sich noch immer gegen Lenhardt lehnte und sie erst jetzt bemerkte. »Suse. Immer kommst du.« Es hätte ebenso ein Dank sein können wie ein Vorwurf.
»Wir bringen sie zu uns, das ist näher. Ich schicke einen Boten zu eurem Vater.«
Elisabeth Lossius schlug die Hände über dem Kopf zusammen, als sie sah, wie ihnen das Wasser aus der Kleidung rann. »Tantes Kammer, Lenhardt«, wies sie an und nahm eine ihrer Mägde beiseite, um ihr zu sagen, woher sie trockenes Zeug und warme Decken holen sollte.
Lenhardt führte Regine hinauf. Erst in der Kammer machte er sich von ihr los und wandte sich Susanne zu. »Dem Herrgott sei es gedankt. Bist du wohl? Ich werde gleich Mutter sagen, sie soll euch heißen Wein bereiten lassen. Und dann schicke ich unseren Burschen … Ihr zieht euch um, ja? Ich …«
»Warte.« Energisch schloss Susanne die Tür, sodass sie unter sich waren. »Lenhardt, ich werde dich etwas fragen, das dich vielleicht verärgern wird. Aber es muss sein.«
»Aber ihr werdet noch beide krank, wenn ihr nicht …«
Susanne unterbrach ihn mit einer Geste. »In der Nacht, die Regine hier verbracht hat, bist du da allein mit ihr gewesen?«
Lenhardts Miene verschloss sich. »Warum willst du das wissen?«
»Ich will es wissen, weil Regine an jenem Abend oder in jener Nacht etwas zugestoßen ist, worüber du vielleicht mehr weißt als ich. Ging es ihr gut, als sie hierherkam?«
»Ja«, sagte Regine. »Ich komme gern hierher. Es ist ein schönes Haus. Und Lenhardt ist hier.«
Lenhardt breitete die Hände aus. »Das war damals ein schlimmes Unwetter. Sie hatte Angst.«
»Nein. Ich hatte keine Angst. Du warst doch hier.«
Susanne ging zu ihrer Schwester und half ihr, den schweren, nassen Überwurf abzulegen. »Aber später hattest du Angst. Warum denn?«
Regine schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht.«
Lenhardt legte eine Hand auf Susannes Arm, damit sie ihn ansah. »Was soll das? Worauf willst du hinaus?«
Susanne sah ihn nicht an, sondern breitete den Überwurf über einen Stuhl. »Wart ihr allein?«
»Lieber Gott, Susanne!« Seine Stimme bekam einen verzweifelten Unterton.
»Wart ihr?«
»Ja! Aber … Das ist doch nicht … Du glaubst doch nicht …«
»Doch, ich glaube. Sag mir die Wahrheit, Lenhardt. Was ist in jener Nacht gewesen?«
»Was du mir da unterstellst, kann alles zwischen uns zerstören. Überleg es dir gut, bevor du weitersprichst.«
»Bevor ich noch einmal frage, muss ich dir etwas erzählen. Denn was ich dir da unterstelle, hat Folgen, über die ich nicht bestimmen kann. Hör es also, und dann folge deinem
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