Salz und Asche - Roman
gegen ihn eingenommen, weil er fremd ist? Ist es das? Bist du deswegen so spröde mit ihm, weil keiner weiß, wo er herkommt?«
Susanne sah ihn erstaunt an. Er klang, als würde es ihn ärgern, wenn er mit seinem Verdacht richtigläge. »Wie meinst du das? Er ist doch schon seit Jahren bei Schmitt. Vorher war er fast noch ein Kind. Soll er eine dunkle Vergangenheit haben?«
»Er ist allein und zerlumpt in die Stadt gekommen, keinen Heller in der Tasche. Schmitt hat ihn aus Mitleid angenommen, als er anfragen kam. Jan hat ihm nur erzählt, dass sein toter Vater auch Schmied war, und vorgeführt, dass er vom Handwerk schon etwas versteht. Schmitt meint, seinen Eltern wäre wohl ein Unglück zugestoßen, und deshalb will Jan nicht über die Vergangenheit reden. Mehr weiß keiner. Aber es gibt Leute, die über ihn klatschen. Angeblich haben ihn Zeugen mit einer Bande von Halsabschneidern zusammen gesehen. Mit vierzehn Jahren wäre er schon alt genug gewesen, um Verbrechen auf dem Gewissen zu haben, sagen sie, und dass Jan sich die Lehrstelle erschlichen hat. Er hätte kein Recht darauf gehabt, weil es Bürgersöhne gab, die sie auch nötig gehabt hätten.«
»Da hast du’s. Der Neid lässt sie klatschen. Glaubst du wirklich, dass ich darauf etwas geben würde? Nach allem,
was wir über Klatsch und giftige Zungen wissen? Ich habe gar nichts gegen ihn.«
»Dann könntest du ein bisschen freundlicher zu ihm sein. Siehst du, ich stelle mir immer vor, wie es mir ergehen wird, wenn es mich eines Tages in eine andere Stadt verschlägt.«
»Das wäre wohl etwas anderes. Du hast bald ausgelernt. Wenn sie einen Böttcher bräuchten, würden sie dich willkommen heißen, und du hättest hoffentlich keinen Grund, deine Herkunft zu verschweigen.«
Die Arbeit in der Schmiede ruhte bereits, als sie dort ankamen. Meister Schmitt hatte die Schürze ausgezogen und half nur noch einem Kunden dabei, ein geschmiedetes Treppengeländer auf einen Ochsenkarren zu laden.
Till wurde von Schmitt mit einem warmen Handschlag begrüßt, Susanne zurückhaltender. Was Jan Niehus betraf, musste Schmitt sie enttäuschen. Dem hätte er gerade an diesem Abend früh erlaubt, Schluss zu machen, damit er sich um Alberts Belange kümmern könne.
Susanne hatte den Eindruck, dass Till tatsächlich enttäuscht war, doch er kam auf dem Weg ins Wasserviertel nicht mehr auf Jan zu sprechen. Stattdessen unterhielten sie sich über den voraussichtlichen Verlauf des nächsten Schützenfestes und über die Zukunft der Salzsiederei. Ein Gesprächsstoff, der nie ein Ende nahm. Wer in Lüneburg zur Welt kam, wuchs mit der Gewissheit auf, dass vom Salz alles abhing. Das weiße Gold war der Ursprung der Stadt und hatte über Jahrhunderte ihre Regeln und Gesetze geprägt. Die Lüneburger lebten mit dem Rauch und dem Dampf der Siedehütten, als wären sie naturgegeben. Sie entrüsteten sich nicht darüber, dass in Zeiten der Überproduktion
sogar Kirchenschiffe genutzt wurden, um das Salz zu lagern, dessen Qualität weithin legendär war.
Die ältesten Ansässigen kannten zumindest aus Erzählungen ihrer Eltern noch Zeiten, in denen das Salz die Stadt so schnell verlassen hatte, wie es gesiedet werden konnte.
Doch selbst vor dem großen, dreißig Jahre währenden Krieg war es dem Salzhandel nicht mehr gutgegangen. Ausländisches, billigeres Seesalz hatte der weißen Kostbarkeit aus den tiefen Lüneburger Quellen den Rang abgelaufen. Auf dem Weg zum Wasserviertel kamen Susanne und Till daher an manchem Haus ehemals schwerreicher Patrizier vorüber, das bereits vom langsamen Verfall kündete. Sülfmeister Lossius’ Haus »am Sande«, dem prunkvollsten Platz neben dem Marktplatz, war noch gut in Schuss.
Till schnaubte verächtlich, als Susanne eine Bemerkung dazu machte. »Lossius lebt längst nicht mehr nur vom Salzsieden. Er ist ein wackerer Geschäftsmann, Schwesterchen. Ich weiß, dass er während des Krieges Häuser aufgekauft hat, für die er nun Mietzins nimmt.«
»Immerhin hält er trotzdem am Salzhandel fest. Wenn es nicht Männer wie ihn gäbe, dann hätten wir bald keine Kunden mehr. Woher sollten die Aufträge kommen?«
»Wenn die Leute nicht länger darauf warteten, dass der Salzhandel sie rettet, dann würden sie neue Möglichkeiten finden. Eine Salinenreform wäre ein guter Anfang, aber die Alten wollen nicht, sie sind zu starrköpfig. Selbst Vater und Martin halten ja nichts davon, das Sülzrecht zu ändern.«
Susanne sah ihn misstrauisch an.
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