Salz und Asche - Roman
»Du warst wohl nicht zufällig bei einer von diesen geheimen Versammlungen, von denen du gesprochen hast?«
Er streckte die Hand aus und zog ihr frech die Haube vor die Augen. »Du musst wirklich nicht alles wissen.«
Ihrer Rache entging er nur, weil sie die Hände mit dem schweren Korb voll hatte.
Je näher sie dem Wasserviertel kamen, desto nervöser wurde Susanne. Sie hatte sich vorgenommen, zuerst bei einer Zimmermannswitwe vorzusprechen, der sie im schlimmsten Unglück eine Weile beigestanden hatte. Die Frau wohnte in der Koltmannstraße, an deren einem Ende das große Gildehaus der Böttcher stand. Zum anderen Ende der Gasse hin reihten sich die kleinen Häuser von Leuten aneinander, die zwar nicht wohlhabend waren, aber auch nicht zu den Elenden gehörten. Selbst ihre Untermieter waren meist Leute mit fester oder wenigstens regelmäßiger Arbeit. Die zwei- oder dreigeschossigen schmalen Fachwerkgebäude waren mit geschnitzten Figuren, Sprüchen und Widmungen geschmückt. Viele Fenster waren allerdings noch aus den billigen, runden grünen Glasscheiben zusammengesetzt.
Als Susanne die Stufen vor dem Haus der Witwe hinaufgestiegen war, ging beim Nachbarhaus die Eingangstür auf. Gleichzeitig wurden Fensterläden im Obergeschoss geöffnet. Aus der Tür kam ein Mann und sprang über die Stufen der Vortreppe hinweg auf die Straße. Oben beugte sich eine junge Frau gefährlich weit aus dem Fenster und schimpfte in einem fremden Dialekt laut hinter ihm her. Der Mann blieb stehen und antwortete lachend. Allzu ernst schien es auch die Frau nicht zu meinen, denn in ihrer schönen, vollen Stimme schwang Heiterkeit mit.
Susanne wollte nicht lauschen und klopfte daher energisch an die Tür der Witwe, während die Worte zwischen den beiden hin und her flogen. Till, der sich endlich bequemt hatte, ihr den Korb abzunehmen, hatte keine Skrupel. Er stand da und beobachtete unverhohlen den Mann
auf der Straße, der gekleidet war wie ein Schifferknecht. »Den sollten wir fragen«, sagte er, doch da winkte der Mann noch einmal nach oben und lief mit klappernden Sohlen davon.
Die Frau am Fenster sah ihm lächelnd nach und wandte sich dann Till und Susanne zu. »Da ist niemand zu Haus«, sagte sie.
Susanne stieg die Treppe wieder hinab, um besser nach oben sehen zu können, und war gebannt. Die Frau hatte kein schönes Gesicht, ihre Nase war auffallend groß, aber ihre schmalen Lippen und dunklen Augen hatten einen eigenen Reiz. Wenn es möglich war, Klugheit, Lebenslust und Witz nur aus den Gesichtszügen eines Menschen zu lesen, dann musste die Frau all diese Eigenschaften besitzen. »Wir wollten etwas fragen. Vielleicht könnt Ihr uns weiterhelfen?«
Die Frau musterte sie mit Schalk im Blick, zuckte schließlich mit den Schultern und rief, während sie die Fensterläden schloss: »Wartet, ich komme hinunter.«
»Biete ihr Kirschen an«, sagte Till. »Sie sieht aus, als würde sie Kirschen mögen. Was haben die da gesprochen? Lüneburger sind das nicht. Vielleicht kommen sie aus Böhmen. Er sah aus wie ein Schiffer. Wahrscheinlich …«
Susanne stieß ihn an. »Schscht. Sie kommt.«
Die Frau kam aus der Tür. Sie nickte ihnen zu, zog ihr Schultertuch enger zusammen und setzte sich auf die oberste Stufe der Vortreppe. Ihr Rocksaum rutschte ein bisschen hoch, sodass man ihre nackten Füße in den Holzpantinen sah. Susanne fühlte sich von ihren klugen Augen peinlich genau untersucht. Sie gab sich einen Ruck und streckte die Hand zum Gruß aus. »Susanne Büttner. Ich suche die Leute, die Marianne Främckes Kinder aufgenommen haben.
Ich dachte, sie könnten vielleicht etwas Beistand brauchen.«
Die Frau berührte flüchtig ihre Hand, schwieg aber. Ihre Miene zeigte nun keine Heiterkeit mehr. Auf einmal sah man in ihrem Gesicht die Spuren eines harten Lebens. Hätte Susanne kurz zuvor noch geschätzt, dass die Frau in Regines Alter war, wirkte sie nun zwanzig Jahre älter. »Ich habe Marianne nicht gut gekannt«, sagte sie und klaubte ein paar Fusseln von ihrem Rock.
Susanne nickte. »Es geht mir bloß um die Kinder. Denen muss man doch helfen, oder nicht?«
Wieder schwieg die Frau und sah sie nur nachdenklich an. Eine mit Kirschen gefüllte Hand schob sich zwischen sie. »Hier. Koste mal. Die sind gut«, sagte Till. »Und wenn Suse einen Kern weiter spucken kann als du, dann erzählst du uns, was du weißt. Ich nehme nicht teil, ich kann sowieso weiter spucken als ihr beide. Na, nimm schon.« Er drängte der Frau die
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