Salz und Asche - Roman
Schwester heranmacht? Kannst du nicht einen Netteren finden?«
»Zu mir war er nett. Was hast du gegen ihn?«
»Reicht es dir nicht, dass er als Schürzenjäger verschrien ist? Auf dem Martinimarkt hat er Reichenbachs Schwester geküsst, und zwei Wochen später kannte er sie nicht mehr. Er denkt, er darf sich alles erlauben, weil kein kleiner Handwerker ihm etwas anhaben kann. Genau das Gleiche ist es mit der Nachtruhe. Unsereins muss Angst vor dem Turm haben, wenn er nachts ohne Licht unterwegs ist, aber ihn lassen die Büttel jedes Mal laufen. Es juckt ihn überhaupt nicht, sonst wäre er doch nicht so blöd, sich dauernd erwischen zu lassen. Er läuft ihnen einfach in die Arme! Versucht gar nicht, sich zu ducken. Ich habe es selbst gesehen. Wenn ich so blöd wäre wie er, dann …«
»Schscht. Jetzt erzähl mir bloß nicht, wie oft du im Dunkeln herumschleichst. Das will ich lieber nicht wissen, wenn mich jemand danach fragt. Ich wollte hören, was du gegen Lenhardt hast. Hast du mit eigenen Augen gesehen, was er nachts treibt und wen er küsst?«
»Er läuft durch die Straßen, und manchmal geht er zu heimlichen Treffen der Sülfmeisterjugend. Nicht, dass sie so geheim wären, die meisten wissen davon. Die jungen Herren reden sich die Köpfe heiß über die Unfähigkeit des Rates und eine Reform der Saline. Danach gehen sie alle brav wieder heim. Und kaum einer lässt sich erwischen, außer das tumbe Pferdegesicht.«
»Pfui, Till. Du stehst auf dünnem Eis und solltest nicht wippen. Wenn sie dich fangen, dann wirst du auch nicht für lange in den Turm geworfen. Vater holte dich schon heraus. Vielleicht bekämest du allerdings noch mal richtig Prügel von ihm.«
Er zuckte mit den Schultern. »Es ist ja nicht, als wäre ich jede Nacht unterwegs. Und ich finde nicht, dass es ein Verbrechen
ist, nicht zu schlafen, wenn mir nicht danach ist. Und kein Licht zu tragen, wenn ich genug sehen kann. Ist das nun alles, was du wolltest? Kann ich gehen?«
»Noch nicht. Ich möchte dich noch etwas anderes fragen. Wegen der Sache mit Albert. Er hat Jan Niehus gebeten, die Kinder zu suchen. Ich würde gern dabei helfen, aber dazu brauche ich dich. Gehst du mit mir in die Schiffergassen?«
Er lachte trocken. »Und du erzählst mir was von Vaters Prügel! Du sollst da nicht hingehen, hat er gesagt.«
»Ich bin sicher, dass die Leute mir mehr erzählen, wenn ich mit einem Brotkorb daherkomme, als einem Mann, der nichts mitbringt.«
»Sicher gehe ich mit. Nur zu gern. Wenn du die Prügel danach nicht mir allein überlässt.«
»Wir müssen uns ja nicht blöd anstellen. Wer uns sieht, der kann glauben, dass wir nur unsere Christenpflicht tun.«
Till nickte spöttisch. »Viel mehr als das wirst du vermutlich auch nicht erreichen.«
3
Lockende Früchte
S usannes Mutter hatte oft Lebensmittel zu kinderreichen Frauen gebracht, wenn sie vom Tod ihrer Ehemänner erfahren hatte. Alle Frauen teilten den Albtraum, ihren Mann zu verlieren und sich als Witwe mit ihren Kindern durchkämpfen zu müssen.
Da Susanne dem Beispiel ihrer Mutter schon oft gefolgt war, fiel es ihr leicht, einen Korb zu füllen. Brot, Käse-, Wurst- und Kuchenreste legte sie hinein, und obenauf ein Tuch mit Kirschen, von denen auf ihrem großen Baum mehr wuchsen, als sie verarbeiten mochte.
Sobald Till seine Arbeit in der Werkstatt beenden durfte, machte Susanne sich mit ihm auf den Weg. Er wollte zuerst zur Schmiede gehen, um nachzufragen, ob es Neuigkeiten von Albert oder über die Kinder gäbe, doch Susanne zögerte. Über die Schmiede ins Wasserviertel zu gehen bedeutete einen großen Umweg. Und bei dem Gedanken daran, Jan zu begegnen, schlug ihr Herz wild vor Aufregung. Würde er sich wieder mit ihr unterhalten wollen oder ihr gegenüber so gleichgültig sein wie früher? Im Grunde war ihr der Ausflug ins Wasserviertel auch ohne dieses verwirrende Gefühl aufwühlend genug.
Till pfiff eine kleine Melodie, dann brach er ab und sprach in ihre Gedanken hinein. »Vielleicht will Jan mitgehen. Falls Schmitt ihn lässt. Das wäre doch gut.«
Susanne schwieg, wechselte den Korb von einem zum anderen Arm und blickte vor sich zu Boden. Till sah sie von der Seite an und wartete auf eine Antwort. Sie staunte, wie es möglich war, dass sie sich so zerrissen fühlte. Den ganzen Weg ins Wasserviertel neben dem jungen Schmied zu gehen war sowohl verlockend als auch furchteinflößend.
Till zog aus ihrem Schweigen seine Schlüsse. »Du bist doch wohl nicht auch
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