Salz und Asche - Roman
Aber du kannst nicht
dein Leben lang dein Mannsein als Last mit dir herumtragen . Jetzt spürte er es wieder schwer, sein »Mannsein«. Er hätte sie gern überredet, ihn einmal zu küssen. Nur das. Sein Gesicht musste längst so rot sein wie ihres, er konnte nicht dagegen an. Des Teufels war er, wenn er in dieser Richtung weiterging. Er räusperte sich. »Susanne …«
Sie legte den Zeigefinger auf ihre Lippen und brachte ihn damit zum Schweigen. »Du hast recht. Die Frau heißt Marie Lohmann und wohnt in einer Bude an der Bardowicker Mauer. Am besten, du bringst ihr diese Sachen. Kannst morgen Abend erzählen, was du herausgefunden hast, wenn du uns den Korb zurückbringst.« Sie reichte ihm den Korb, bevor er es richtig begriffen hatte, und wandte sich ab, um ihren Bruder einzuholen. Doch dann drehte sie sich noch einmal um. »Falls du Vater begegnest, sag, du brächtest Till seinen Korb zurück. Ich werde auf dich warten.«
Sie ging so wie immer, als würde sie gleich loslaufen wie ein Kind. Ihre offenen Haubenbänder wippten, ihr Rock schwang, und Jan glaubte, er würde platzen, wenn er sie nicht eines Tages einmal berühren durfte. Vielleicht konnte er wenigstens wagen, sie auf dem Schützenfest für einen Tanz zu holen, so wie andere junge Männer es tun würden. Für einen einzigen Tanz, in aller Unschuld. Narr , spottete seine innere Stimme. Was weißt du von Unschuld?
Susanne lag im Dunkeln und starrte an die Decke. Abends hatte sie bereits lange so dagelegen, weil ihre Gedanken ihr keine Ruhe ließen. Nur wenige Stunden Schlaf waren ihr dann vergönnt gewesen, bevor sie wieder erwachte. Es war noch weit vor Tagesanbruch.
Nun konnte sie die Unruhe verstehen, die Till nachts aus
dem Bett und auf die Straße trieb. Ob Jan diese Rastlosigkeit und Hitze auch kannte? Ob er sie gerade erlebte?
Niemand hatte ihr je so tief in die Augen gesehen wie er. Ihre Blicke hatten etwas zwischen ihnen geschaffen. Es war nur ein Anfang, doch bereits in ihm lag die Verheißung ungeheuerlicher Erfahrungen, wie das erste Zittern des Laubs, das einen Sturm ankündigte.
Es war ein großer Unterschied zwischen der Schwärmerei, die sie bis vor Kurzem für Jan gehegt hatte, und diesem atemberaubenden neuen Gefühl. Sie hatte nie zu hoffen gewagt, dass ihr geheimer Traum wahr wurde. Nun, da es möglicherweise geschah, überwog ihre Furcht die Freude. Es würde nicht einfach sein, mit Jan umzugehen.
Vielleicht hatte sie sich ohnehin etwas eingebildet. Was waren schon Blicke? Und selbst wenn die Blicke nicht gelogen hatten, vielleicht würde er sein Gefühl schon vergessen haben, wenn sie sich wieder begegneten. Sie zitterte innerlich bei dem Gedanken daran, wie schnell ihre Hoffnung sterben konnte. Ohne zu wissen, worauf genau sie hoffte, war ihre Sehnsucht so groß, dass sie beinah körperlich schmerzte. Jans Gesicht stand ihr deutlich vor Augen. Ihr Leben lang hatte sie sich gefragt, warum Frauen und Männer einander küssten. Nun verstand sie. Die Vorstellung, Jans Lippen mit ihren zu berühren, war so aufregend, dass ihr Herz raste.
Sie seufzte leise und drehte sich zum dunklen Viereck des Fensters. Von draußen war eine einzige Nachtigall zu hören und weit entferntes Hundegebell, sonst nichts. Ihre Schwestern atmeten gleichmäßig, nur Regines Hände zuckten gelegentlich und brachten das Federbett zum Rascheln.
Ihre Gefühle für Jan waren schon verstörend genug. An
das, was sie über die Kinder erfahren hatte, durfte sie gar nicht denken.
Till hatte sie davon überzeugt, dass es besser war, wenn sie ihrem Vater nicht von ihren Nachforschungen berichteten. Er würde sonst in seiner gerechten Entrüstung umgehend zum Rat stürmen. Der Rat würde sodann alle Büttel aussenden, um den Kinderhändler zu suchen, und das Wasserviertel in Unruhe versetzen, ohne den Gesuchten ans Licht zu befördern. Anschließend würde dort unter den Leuten solches Misstrauen herrschen, dass es kaum Sinn hätte, ihnen weitere Fragen zu stellen.
Susanne hatte sich zögernd mit Till darauf geeinigt, dass sie abwarten würden, was Jan erreichte. Wenn sie herausfanden, wo der Mann sich mit den Kindern aufhielt, dann würden die Büttel ihn gezielt dort ergreifen, und der Rat konnte aufklären, was hinter der Sache steckte. Wer wusste, ob man dann nicht sogar etwas über den Hintergrund der beiden Todesfälle erfuhr und der arme Albert aus dem Kerker erlöst wurde? Sollten Wenzel und Marianne Främcke tatsächlich ihre Kinder verkauft
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