Salz und Asche - Roman
nun doch unangenehm, dass er auf sie zukam. Er schalt sich feige und zwang sich zu lächeln. Das Einzige, worüber sie je mit ihm hatte sprechen wollen, waren die verschwundenen Kinder. Leider hatte er sie noch nicht gefunden, nur wilde Gerüchte. Eine kinderraubende Bande von Hexen sollte durch die Stadt geschlichen sein, ein reicher Mann mit perversen Gelüsten nach Kindern, ein Sklavenhändler, der den fernen Orient mit hellhäutigen Kindern beliefern wollte, eine monströse Mörderbande. Hinter vorgehaltener Hand hatte eine halbirre alte Korbflechterin ihm erzählt, wie manche Landleute im Krieg Kinder verspeist hätten und diesen teuflischen Appetit nicht wieder losgeworden wären. Eine Geschichte war unglaubwürdiger gewesen als die andere. Alles, was er glauben konnte, war, dass mehr Kinder verschwunden waren als nur Alberts Halbgeschwister Paul und Minna.
»Guten Abend«, sagte Susanne, bevor er etwas sagen konnte. »Wir haben in der Schmiede nach dir gefragt. Schmitt meinte, du wolltest etwas für Albert tun. Hast du ihn besucht?«
Sie sprach schnell, und ihre Stimme klang ein bisschen atemlos, als hätte sie ebenfalls hastig überlegt, wie sie ein Gespräch mit ihm anfangen sollte. Nun musste er wirklich lächeln. Sie war so hübsch. Noch mehr, wenn ihre Wangen vor Verlegenheit rosig wurden. Ihre Aufgeregtheit machte ihn gelassener. »Unsere Hausherrin war mittags beim Turm und hat Albert Essen gebracht. Mehr Besuch ist nicht gern gesehen. Da muss man schon etwas Dringendes auszurichten haben. Unsere Hausherrin sagt, es geht Albert nicht schlecht, sie lassen ihn in Ruhe. Scheint, als hätten sie doch selbst noch Zweifel, ob er der Mörder ist. Die Büttel sollten Beweise suchen, aber der Einzige, der den Kopf dafür hätte, liegt seit Wochen mit eitrigem Hals im Bett. Die Wachtposten sollen sich darüber unterhalten haben, wer alles einen Grund gehabt hätte, den Wenzel zu erschlagen. Da gibt es wohl mehrere, er war kein netter Kerl.«
Sie hörte ihm aufmerksam zu, aber er sah, dass ihr die vorausgeahnte Frage auf den Lippen brannte. Doch wie sollte er ihr von den grauenhaften Gerüchten um die Kinder berichten? Hielt man junge Frauen wie sie nicht fern vom Bösen? »Die Kinder habe ich noch nicht gefunden«, sagte er daher nur. So wie sie den Mund auf- und wieder zuklappte, hatte er tatsächlich ihre Frage erraten.
»Hast du gar nichts gefunden?«, fragte sie.
Ihr Tonfall machte ihn stutzig. Jetzt erst überlegte er, was sie in diesem Viertel der Stadt tat. Er erinnerte sich an ihr Hilfsangebot, das er nicht ernst genommen hatte. Erstaunt sah er ihr in die Augen. »Habt ihr denn etwas gefunden?«
Sie lächelte traurig. »Ein seltsames Gerücht.«
»Damit kann ich auch dienen. Nicht nur mit einem.«
Sie nickte mit ernster Miene. »Aber ich habe einen Namen.
Eine Frau, die ihre Kinder loswerden wollte. Angeblich hat der Kerl sie abgewiesen. Wir wollten … Wollen wir …« Sie sah sich nach ihrem Bruder um, der die fremde Frau an der Straßenecke aufgehalten hatte und dort mit ihr schwatzte. Natürlich war Susanne darauf angewiesen, dass Till sie begleitete, fiel Jan auf. Selbst dann war es erstaunlich, dass sie hier sein durfte. »Weiß euer Vater, was ihr hier macht?«
Sie zog die Schultern hoch, so als fühlte sie schon eine harte Hand im Nacken. Ein kurzes Kopfschütteln gab ihm die Antwort. Auch wenn er für richtig hielt, was sie vorhatte, wollte er sie nicht dabei unterstützen, ihren Vater zu hintergehen. »Dann sagst du mir besser den Namen von der Frau und gehst mit deinem Bruder nach Hause. Oder ist sie das da?« Er wies mit dem Kopf auf die Fremde, die Till gegenüberstand.
»Nein. Das ist Kathi. Sie hat uns bei der Suche geholfen.«
»Kennt ihr sie schon länger?«
Sie schüttelte den Kopf. Er wunderte sich, wie Till dann so dreist sein konnte, mit der Frau auf so eine vertraute Art allein zusammenzustehen und schönzutun. Unwillkürlich wich er ein wenig von Susanne zurück. Eine Katastrophe gäbe es, wenn jemand ihrem Vater erzählte, dass er sie so zusammen hier gesehen hätte. »Dein Vater wird …«
Er hätte ihr nicht noch einmal in die Augen sehen sollen, stellte er fest. Sie waren groß und dunkel, und ihr Blick so warm, dass es ihm durch und durch ging. Ihre vollen Lippen sahen unwiderstehlich weich aus. Er wusste, wie es war, eine Frau zu küssen. Und mehr. Rudolf hatte ihn mit in die Hurengasse genommen. Junge, du kriegst so wenig ein Eheweib wie ich , hatte er gesagt.
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