Salz und Asche - Roman
sie ihm ein wenig dafür, dass sie mit den beängstigenden Folgen ihres Treffens allein hatte zurechtkommen müssen. Andererseits war es wohl gerade das, wovor er sie ständig warnte. Wenn sein Verhalten ihr gegenüber nur nicht so zwiespältig gewesen wäre. Erst stieß er sie von sich, und gleich darauf hielt er sie im Arm, als wäre sie alles für ihn. Ein einfacher Mensch war er gewiss nicht. Trotzdem ließ der Gedanke daran, wie sie beieinandergesessen hatten, schon wieder ihr Herz vor Sehnsucht schneller schlagen.
»… und wenn die Sülfmeister endlich Vernunft annähmen, dann könnte so eine Salinenreform den Handel wieder zu alter Blüte bringen. Meinst du nicht auch?« Lenhardt sah sie erwartungsvoll an, mit seinem liebevollen Lächeln auf den Lippen.
Verlegen sah sie zu Boden. »Davon versteht Ihr mehr als ich.«
8
Hoffnung und Sehnsucht
D er Sonntag begann mit strömendem Regen. Susanne hatte in der Nacht wieder wach gelegen und fühlte sich dennoch auch in der Frühe nicht schläfrig. Ihre Gedanken wirbelten und rasten. Sie mussten zur Kirche, und an diesem Tage erschien es ihr wichtiger denn je, dass jedes einzelne Mitglied des Hauses besonders sittsam und standesgemäß gekleidet dort erschien. Jahrelang hatte ihre Mutter ihr eingeprägt, wie wichtig es war, in der Kirche untadelhaft aufzutreten. Es galt, der Gemeinde den Beweis zu erbringen, dass die Familie trotz ihrer Abweichung vom Üblichen nicht vorhatte, weitere Regeln zu brechen.
Daher gab Susanne ihr Bestes, um Regine, Liebhild und sich selbst makellos zu kleiden. Sie hielt auch Lene dazu an und sogar die Muhme, obwohl diese im Haus bleiben würde, um das Mittagsmahl zuzubereiten. Martin und ihr Vater achteten selbst darauf, dass bei ihnen alles in Ordnung war. Bei Till konnte sie sich nur schwer durchsetzen. Er wirkte übernächtigt und hätte am liebsten eine Krankheit vorgeschützt, um daheimbleiben zu dürfen. Doch sie gab keine Ruhe, und daher betraten sie das ehrwürdige Schiff der Nicolaikirche vollzählig und als Zierde des Böttcherstandes.
Susanne nahm sich vor, dem Pastor aufmerksam zu lauschen, damit sie später kluge Bemerkungen zu seiner Predigt
machen konnte. Auch dieser Vorsatz entsprang der Weisheit ihrer Mutter.
Zu ihrem Leidwesen fiel es ihr jedoch weit schwerer als erwartet. Noch vor Eintritt des Pastors lief ein Tuscheln durch die sitzende Gemeinde. Anschließend saß Susanne während des gesamten Gottesdienstes wie auf heißen Kohlen. Zum vermutlich ersten Mal in seinem Leben war Lenhardt Lossius der Kirche seines Standes untreu geworden und hatte stattdessen die Nicolaikirche aufgesucht. Er kam gemeinsam mit dem blassen Herrn von Waldfels, der für alle hörbar die Schönheit der Kirche lobte, bevor sich beide bescheiden in einer der Bänke niederließen, die für Gäste vorgesehen waren. Susanne starrte in geheuchelter Andacht auf die rostbraunen und weißen Bodenfliesen, um dem sprechenden Blick ihres Vaters nicht begegnen zu müssen. Er war am Vorabend über Regines Ausflug zwar verärgert gewesen, doch schien es ihn erheblich beschwichtigt zu haben, dass sie in Lenhardts Begleitung zurückgekehrt waren. Wesentlich heftiger hatte sein Zorn später Till getroffen, der ebenfalls länger ausgeblieben war als erlaubt.
Nach dem Gottesdienst wäre Susanne am liebsten davongelaufen, bevor Lenhardt und Herr von Waldfels sich zu ihnen gesellten. Stattdessen musste sie, mit Regine untergehakt, dicht bei ihrem Vater bleiben, der den Herren sogar noch entgegenging. Auch Regine und Liebhild strebten freudig auf ihre neuen Bekannten zu. Einzig Till bewegte sich nur widerstrebend mit ihnen und blieb an Lenes Seite etwas zurück.
Die Männer begrüßten einander nach allen Regeln der Höflichkeit, dann wandte Herr von Waldfels sich mit verzückter Miene Susanne und ihren Schwestern zu. »Und da
sind auch die lieben Jungfern. Was für ein reizendes Bild der Unschuld. Ihr seid gesegnet, Meister Büttner.«
Sogar seine Stimme klang gebrechlich, als könnte sein schmaler Brustkorb nicht genug Atem schöpfen. Eine bemitleidenswerte Figur war er allerdings trotz seiner körperlichen Schwäche nicht. Er kleidete sich zurückhaltend, aber kostbar und in hellen Farben. Sein Rock war aus gelblich weißem Brokat, von silbernen Stickereien durchzogen, die krausen Rüschen an Ärmeln und Kragen aus feinster Spitze. Seine Hände waren von eng anliegenden weißen Handschuhen bedeckt.
»Sie ähneln meiner Frau, Gott hab sie selig«, gab
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