Salz und Asche - Roman
selben Plätze einzunehmen wie jeden Sonntag, hielt er Ausschau nach Lossius. Der alte Herr saß mit den Mitgliedern seines Hauses vorn in der Familienbank bei den Sülfmeistern, die breiten Schultern durch einen prächtigen Mantel mit pelzverbrämtem Kragen betont. Vom Sohn war nichts zu sehen. Jan wünschte ihn zum Teufel, während er die Hände zur Andacht faltete. Seine innere Stimme beschimpfte ihn dafür. Wie kannst du Lossius verfluchen,
wenn er derjenige ist, der Susanne ein glückliches Leben bieten wird? Tut es dir nicht leid genug, dass du Albert Böses gewünscht hast? Besinn dich endlich darauf, wo dein Platz ist. Müde schloss er die Augen. Wenn Albert unschuldig gehängt wurde, dann würde er wenig Freude daran haben, bei Schmitt zu bleiben. Umso weniger, da er vielleicht die Möglichkeit hatte, den wahren Mörder zu finden. Er musste es versuchen. So wie er versuchen musste, Susanne dem reichen Gimpel Lossius zu gönnen.
Ein Rippenstoß traf ihn so hart, dass er aufschreckte. »Wehe, du schläfst in der Kirche«, zischte Gertrud Schmitt.
Als am Nachmittag der Duft heißer Zimtwaffeln das Büttnersche Haus erfüllte und alle in die Küche lockte, war die Stimmung für kurze Zeit tatsächlich so wie früher. Zu Susannes Bedauern fehlte allerdings Martin, der nach dem Mittagsmahl trotz des starken Regens noch einmal zu Marquarts gegangen war. Er hatte dort eine von den Vätern genehmigte Verabredung mit Dorothea.
Mit dem langstieligen Waffeleisen umzugehen war eine verantwortungsvolle Aufgabe. Es galt, die Waffel für genau die richtige Zeit an der richtigen Stelle des Feuers zu backen. Bei jedem goldgelben Prachtstück, das sie aus dem Eisen löste, dankte Susanne ihrer Mutter dafür, dass sie diese Kunst so früh hatte lernen dürfen. Es gab nicht viele solcher Fertigkeiten, auf die sie stolz war. Zu oft blieb das, was sie leistete, hinter der Erinnerung an das Können ihrer Mutter zurück. Ursula Büttner hatte sowohl selbst Bier gebraut als auch Seife gesiedet. Sie hatte nicht nur gesponnen, sondern auch gewoben und so gut wie jeder Schneider Kleidung für ihre Familie genäht.
Seit Susanne notgedrungen den Haushalt führte, musste das Bier bei den Brauereien gekauft werden und ihr bisschen Seife beim Krämer. Alte Kleider für Liebhild abzuändern, das brachte sie zustande, doch wer eine neue Hose oder gar einen Rock brauchte, der musste sich einen von Meister Künemann anpassen lassen.
Sie gab sich Mühe, doch eine Hausfrau wie ihre Mutter war sie nicht. Allein deshalb hatte sich das Leben für die Familie verteuert. Noch mehr Dienstboten einzustellen würde die Sache nicht besser machen.
Möglicherweise würde die Arbeitslast leichter werden, wenn Martin Dorothea Marquart heiratete. Sie war acht Jahre älter als Susanne und hatte weit mehr Zeit gehabt, von ihrer Mutter zu lernen. Falls sie sich gut verstanden, würden sie den Haushalt gemeinsam führen können.
Till setzte sich neben Liebhild auf die Küchenbank und piekste sie mit dem Finger in die Seite. »Dass du mir nicht wieder alle Waffeln wegisst.«
Liebhild kicherte. »Suse und Lene sagen immer, ich muss noch wachsen.«
»Ja, du schon, aber doch nicht dein Bauch allein. Letztes Mal hast du ja zwischen Bank und Tisch festgeklemmt. Ein Dutzend Waffeln sind zu viel für ein kleines Mädchen. Jemand wie du darf eine und eine halbe essen.«
Prustend gab Liebhild ihm einen Schubs. »Ich habe doch kein Dutzend gegessen!«
Till musterte sie mit gespielter Strenge. »Nein? Nun, wer war es dann?«
»Regine!«
»So, so. Regine, ist das wahr, was ich da höre? Hast du letztes Mal so viele Waffeln gegessen?«
Regine lächelte. »Nein, das war die Muhme.«
Die alte Muhme, die auf ihrem Eckchen der Küchenbank saß und mit ihrem faltigen Mund milde lächelte, nickte freundlich vor sich hin, hatte aber sichtlich nicht verstanden, worum es ging. Liebhild lachte. »Das kann ihr armer, alter Magen doch gar nicht verkraften. Es war sicher Vater.«
Ulrich Büttner hatte es sich mit einem Rückenkissen in seinem Armlehnstuhl am Haupt des Tisches gemütlich gemacht, auf dem Schoß die Ledermappe mit Zeitungsblättern und Kalenderseiten, die er zu seinem Vergnügen sammelte. Er klopfte sich mit beiden Händen auf seinen stattlichen Bauch. »Na, der Herr des Hauses wird ja wohl ein Dutzend Waffeln essen dürfen! Woran sollen die Leute denn sonst erkennen, wie gut es uns geht? Fahr auf, Suse. Das erste Dutzend ist für mich.«
Susanne
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