Salz und Asche - Roman
werden auch andere nicht blind gewesen sein. Also, fragen wir nun die Wache?«
Zögerlich stimmte Susanne zu, und sie gingen weiter. »Kennst du Jan Niehus?«, fragte sie.
Kathi lächelte bitter. »Oh ja, ich kenne Jan Niehus. Auf jeden Fall alles, was man über ihn sagt.«
»Ist es so schlimm?«
»Als Kind soll er mit einer Bande von Halsabschneidern unterwegs gewesen sein, dein Jan. Räuber und Mörder, wenn es nach den Leuten geht.«
»Er ist nicht mein Jan«, sagte Susanne. Zu spät merkte sie, dass Kathi denken musste, sie würde ihn wegen seines schlechten Rufes verleugnen.
Kathi warf ihr einen scharfen Blick zu. »Nein? Na, dann kann es dir ja gleich sein.«
Der Wachmann am Roten Tor hatte nichts gesehen und war weit weniger leutselig als Tobias. Er hatte die großen Torflügel bereits für die Nacht geschlossen und winkte ab, als Susanne ihn bat, sie noch einmal hinauszulassen. »Ich wüsste, wenn die da draußen wären. Wären mir aufgefallen.«
Susanne bestand nicht länger darauf. Es war mittlerweile so spät geworden, dass womöglich ihr Vater und Martin bereits auf dem Heimweg waren. Auch wenn es sie beschämte, ihrem Vater gegenübertreten zu müssen, war es vernünftiger, zurückzukehren. Vielleicht waren die beiden wieder aufgetaucht. Und wenn nicht, dann konnte sie gemeinsam mit den Männern mehr erreichen. Entschlossen trennte sie sich von Kathi, von der auch sie zum Abschied einen markigen Klaps auf die Schulter bekam. »Wirst sie schon finden, Kleine.«
Der kürzeste Weg nach Hause führte über den Platz am Sande. Hier war an diesem Abend wenig los, sodass Susanne quer über den Platz bis zur Johanniskirche und zu Lossius’ Haus blicken und nach ihren Schwestern Ausschau halten konnte. Allmählich fühlte sie sich von der Anstrengung und Aufregung des langen Tages erschöpft. Dennoch trieb sie sich zur Eile an und bog in die Grapengießerstraße ein. Einen Moment lang traute sie ihren Augen nicht, dann fiel sie in Trab. Vor ihr gingen Regine und Liebhild zusammen mit Lenhardt Lossius und einem fremden Mann.
Lenhardt führte Regine an seinem Arm, als wäre sie eine Dame. Liebhild unterhielt sich mit dem Fremden, der sich ihr achtungsvoll ein wenig zuneigte. Vor Erleichterung musste Susanne beinah schluchzen, als sie ihnen das letzte Stück nachlief. »Gine! Liebchen!«
Die Gruppe blieb stehen und wandte sich zu ihr um.
Während Regines Miene nur unschuldiges Staunen über ihr Erscheinen verriet, verzog Liebhild schuldbewusst das Gesicht. Lenhardt dagegen strahlte sie an und öffnete die Arme, als wolle er sie zur Begrüßung an sich drücken. »Susanne! Wir sind eben unterwegs zu eurem Haus. Noch keine halbe Stunde, da haben sich euer Vater und Bruder von uns verabschiedet. Deine Schwestern glaubten, sie würden die beiden noch bei uns antreffen.«
Susanne war zu atemlos, um gleich zu antworten. Sie umarmte zuerst die verdutzte Regine, dann Liebhild, bevor sie vor den beiden Herren knickste. »Ich danke Euch. Und ich entschuldige mich vielmals für die Ungelegenheiten, die wir Euch bereitet haben. Es war sehr freundlich von Euch, meine Schwestern zu begleiten.«
Der fremde Herr lächelte milde. »Aber liebe Jungfer, von Ungelegenheiten kann keine Rede sein. Eure Schwestern sind eine bezaubernde Gesellschaft. Es war uns keine Mühe.«
Erst jetzt betrachtete sie ihn näher. Er war wohl zwanzig Jahre älter als sie, aber zart gebaut. Seine Haut war so blass, dass die Adern bläulich hindurchschimmerten. Sein schütteres Haar, das unter einem runden Hut hervorschaute, war weißblond.
»Da hat Herr von Waldfels ganz recht«, sagte Lenhardt. »Es war uns ein Vergnügen und wäre uns ein noch größeres, wenn wir euch auch den Rest des Weges begleiten dürften.«
Liebhild hüpfte vor Freude auf und ab. »Oh ja. Ich erkläre gerade Herrn von Waldfels, wie eine Salztonne gemacht wird, Suse. Das hat er noch nie gesehen, weißt du?«
»Tatsächlich?« Susanne seufzte. Sie hätte Liebhild für ihren Ausflug und die Aufdringlichkeit, mit der sie sich an
den vornehmen fremden Herrn hängte, die Leviten lesen sollen. Doch in Wahrheit trug nicht Liebhild die Schuld, sondern sie selbst. Zudem war sie zu froh darüber, dass sie die beiden wiederhatte. »Dann nehmen wir Euer Angebot selbstverständlich gern an, werte Herren.«
Lenhardt bot Regine seinen rechten Arm an, den sie mit liebreizendem Lächeln nahm. Susanne reichte er seinen linken, und da sie unter den Umständen schlecht ablehnen
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