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Salzburger Totentanz

Salzburger Totentanz

Titel: Salzburger Totentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Eberl
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Ornat. Das erkennt man leicht an den Insignien, wie hier an den Krabben an der Schauseite der Mitra oder den Ringen über den Pontifikalhandschuhen.« Vorsichtig nahm er die Figur hoch. Mit einem Mal war Franz vergessen. Bosch befand sich im Hörsaal vor seinen Sudenten, die mit angehaltenem Atem seinem Vortrag über mittelalterliche Sakralkunst lauschten. »Die Kopfhaltung des Heiligen und sein auffällig nach unten gerichteter Blick sprechen für einen erhöhten Erstbestimmungsort. Obwohl …«, Bosch drehte die Figur behutsam, »obwohl die handgeschmiedeten Eisennägel auf der Rückseite darauf hinweisen, dass die Figur in jüngerer Zeit auch als Prozessionsfigur verwendet wurde. Solche thronende Heilige im bischöflichen Ornat treten in der Tiroler Plastik verstärkt im vierzehnten Jahrhundert auf.« Er überlegte, wen die Figur darstellte, die er damals in Italien gesehen hatte. Den heiligen Ulrich? Oder doch eher den heiligen Nikolaus?
    Franz stieß einen anerkennenden Pfiff aus. »Hieronimo, ich bin schwer beeindruckt.«
    Bosch musterte das Holz, aus dem die Figur geschnitzt war. Warum hatte sich der Schnitzer wohl dafür entschieden? »Lindenholz«, sagte er.
    »Stimmt was nicht?«, fragte Franz und runzelte die Stirn.
    Bosch drehte den Heiligen in den Händen. »Ja, doch, ich würde sagen, der Faltenwurf und vor allem der Hang zum Dekorativen stellen durchaus eine Verbindung zum malerischen Werk des Leonhard von Brixen dar.« Aber auf die Gegend würde er sich nicht festlegen wollen. Bosch strich mit dem Zeigefinger über das glatte Holzgesicht. Die Plastik erinnerte in ihrer Schlichtheit an ein ganz frühes Werk des jungen Pacher.
    »Und? Was ist nun mit dem Material?«, fragte Franz ungeduldig.
    »Was?«, fragte Bosch und erinnerte sich mit einem Mal wieder daran, wo er war. Er hob den Blick von den goldenen Gewandfalten. »Ach so, ja. Keine Sorge, es ist alles in Ordnung mit deinem Heiligen. Dass er aus Lindenholz geschnitzt wurde, heißt nur, dass er eben doch nicht in Südtirol entstanden ist. Wahrscheinlich handelt es sich eher um ein mittelalterliches Importprodukt. Außerdem ist er später barock verändert worden. Schau her – die Enden des Thronkissens sind mit hölzernen Quasten versehen worden.«
    Er hielt Franz die Schnitzerei zur Begutachtung hin. Der beugte sich darüber und brummte etwas, das nach Zustimmung klang, ehe er sich wieder aufrichtete. Bosch hatte nicht den Eindruck, als hätte Franz seine Ausführungen wirklich verstanden. Er stellte die Figur vorsichtig wieder an ihren Platz. »Diese Veränderungen zeigen die lange kultische Einbezogenheit dieser Plastik. Das ist eindeutig ein heiliger Valentin.«
    Franz fing an zu klatschen und nickte Bosch dabei zu. Er klatschte erst langsam, dann immer schneller, immer lauter.
    Das Geräusch hallte in Boschs Ohren. Er wusste, dass er Franz mit seiner kurzen Expertise geholfen hatte, aber den Applaus fand er unangemessen. »Schönes Stück«, sagte er. »Ich verstehe gar nicht, wie die Figur überhaupt in den Handel kommen konnte. So etwas findet man normalerweise nur in einer Kirche oder einem Museum. Was hast du denn dafür bezahlt?«
    Franz kratzte sich am Kopf, dann erschien ein amüsiertes Grinsen auf seinem Gesicht. »Nichts«, sagte er.
    »Wie? Nichts?«
    »Nein. Genau genommen, habe ich sie gar nicht gekauft.«
    »Du hast sie doch von Tappeiner …«
    »Aber nicht gekauft , Hieronimo. Ich habe sie gewissermaßen in Zahlung genommen.«
    »Ach ja?«
    Franz nickte und grinste.
    »Anstelle eines Honorars, nehme ich an?«
    Wieder nickte Franz.
    Bosch setzte sich in einen der Sessel vor dem Kamin. Dabei stieß er mit dem Knie gegen einen niedrigen Tisch, auf dem die gleichen Kuverts lagen, die ihm schon in der Eingangshalle aufgefallen waren, nur waren diese noch nicht beschriftet. Neben ihnen stapelten sich vorgedruckte Karten, teilweise schon handschriftlich in schwarzblauer Tinte mit dem Namen des Empfängers versehen. Ein grün-goldener Füller mit einem altmodischen Drehverschluss lag neben einem Tintenfass.
    »Du solltest deinen Valentin nicht so offen herumstehen lassen«, sagte Bosch. »Dafür ist er zu kostbar. Außerdem – wer den hier stiehlt, der kann ihn zurzeit gut verkaufen.«
    Franz ließ sich auf das Sofa fallen und lachte.
    Bosch konnte sich nicht vorstellen, was er so Erheiterndes gesagt hatte. »Nein, ehrlich«, meinte er. »Wir machen seit über einem Jahr dauernd Expertisen für solche Stücke am Institut. Da

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