Salzburger Totentanz
hätten noch Zeit.«
»Zeit wofür?«, fragte Katharina.
»Für einen kleinen Spaziergang.« Er drehte sich um. »Wollten Sie nicht auch an die frische Luft?«
»Ja, schon, aber … meine Schuhe sind eigentlich nicht …«
»Los, kommen Sie! Die Party steigt erst in zwei Stunden. Und Sie wollten doch ein Interview, oder?«
Eigentlich hatte er ja sie angerufen. Und um den Termin gebeten, weil er morgen verreisen wollte, wenn sie ihre Erinnerung nicht trog. Aber einem geschenkten Gaul schaute man nicht ins Maul, und außerdem hatte sie schon an ausgefalleneren Orten Interviews gemacht. Sie folgte Schwarzenberger in die Eingangshalle. Ihre hohen Absätze klapperten hohl auf den glatten Steinfliesen, und sie bemühte sich, leiser aufzutreten. Schwarzenberger öffnete einen großen Bauernschrank, der offensichtlich als Garderobe diente und dem ein muffiger Geruch entwich. Er entnahm ihm einen Lodenumhang und eine abgeschabte Wachsjacke.
»Hier, ziehen Sie die hier an.«
Er reichte ihr die Jacke, während er sich selbst den Umhang umwarf. Dann angelte er einen zerbeulten Hut von dem Geweih an der Wand und wollte ihn ihr auf den Kopf drücken, aber Katharina entzog sich der gut gemeinten Geste. Seine Jacke konnte sie tragen, aber sein Hut würde die nötige professionelle Distanz zwischen ihnen zerstören. Sie würde nur lächerlich wirken. Schwarzenberger zuckte mit den Schultern und setzte sich den Hut selbst auf.
»Noch ein Paar Gummistiefel?« Schwarzenberger deutete auf die Stiefel unter dem Hirschgeweih.
»Oh, nein«, sagte Katharina. »Besten Dank.« Das Angebot getragener Gummistiefel betrachtete sie schon als Eingriff in ihre Intimsphäre. Schlimm genug, dass es Leute gab, die sich ihrer Schuhe entledigten, sobald sie ihre Wohnung betraten.
Die Luft vor dem Bauernhaus war kühl und klar, rein gewaschen von dem Regen. Das Licht, das aus den kleinen Fenstern fiel, spiegelte sich in den schwarzen Lachen, die sich auf dem Vorplatz gebildet hatten und auf denen die letzten Regentropfen in konzentrischen Kreisen zerliefen. Katharina schloss die Augen und nahm einen tiefen Atemzug. Nach dem erstickenden Küchendunst wurde ihr Kopf allmählich wieder klar.
Schwarzenberger war bereits ein Stück weit über den Vorplatz in Richtung Wald gegangen. Er schlug den Weg nach links ein, wo der Widerschein der Stadt den regengrauen Himmel erhellte. Der Lodenumhang fiel in sanften Wellen von seinen Schultern und schwang im Takt seiner Schritte. Den Kopf hielt er gesenkt. Trotz seiner Größe hatte sein Gang etwas Gleitendes, fast Schwebendes.
Katharina beeilte sich, zu ihm aufzuschließen, doch der Boden war vom Regen aufgeweicht und glitschig. Ihre leichten Schuhe waren wirklich nicht für einen abendlichen Waldspaziergang gemacht.
Der Weg führte durch ein Waldstück und endete auf einem kleinen, mit Gras bewachsenen Hochplateau, hinter dem der Gaisberg steil zur Stadt hin abfiel. Schwarzenberger, der schweigend vorausgegangen war, blieb am Rande des Abhangs stehen. Katharina trat neben ihn und sah sich um. Etwa zehn Meter hinter ihnen ragte der Wald als schwarze Wand empor. Unter ihnen lag das glitzernde Salzburg unter bizarren Wolkengebilden.
»Schön hier.« Sie rieb die Hände aneinander.
»Mein altes Haus hat keine moderne Heizungsanlage«, erklärte Schwarzenberger. »Nur Kachelöfen. Da heißt es Holz hacken.«
Ein paar Schritte entfernt stand ein Block, in dem eine Axt steckte.
»Hier können wir ungestört reden.«
»Na, das auf jeden Fall.« Katharina war kalt. Sie zog die Wachsjacke, die eher klamm als wärmend war, fester um sich. Schwarzenbergers dunkle Augen glitzerten im Schein der Stadtlichter. Sie schienen mehr sehen und erfassen zu können als die anderer Menschen. Katharina kam es einen Moment lang so vor, als schaute Schwarzenberger in eine vierte Dimension.
»Gehen Sie wirklich nach Russland?« Höchste Zeit, mit dem Interview zu beginnen. Sonst erfror sie hier noch.
»Ja.« Schwarzenberger blickte hinunter auf Salzburg.
»Und wohin genau?«
»Zunächst mal nach Moskau. Sagte ich das nicht schon?«
Katharina fiel ein, dass sie ihre Tasche mit dem Diktiergerät in der Küche vergessen hatte. Das war ihr noch nie passiert. Wie hatte sie sich nur so von Schwarzenberger aus dem Konzept bringen lassen können? Professionell war sie heute wirklich nicht.
»Und?«, fragte sie. »Haben Sie schon eine Wohnung? Eine Galerie? Ist schon eine Ausstellung geplant? Und wo? Und was wird aus Ihrem
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