Salzige Küsse
gemacht«, flüsterte Jacob ihr ins Ohr.
Als sie nach der Stunde nach Hause radelte, sah Eve erst richtig, wie schön die Umgebung eigentlich war. So viel Grün, so viele Farben. Sie summte das Lied, mit dem Gloria jede Stunde eröffnete, trat kräftig in die Pedale und fuhr mit Schwung den Hügel hinab.
»Ha, Eve, du kommst gerade rechtzeitig!«, rief Max, während er auf die Leiter stieg. »Könntest du dieses Ende mal festhalten?« Eve griff nach dem Seil, das Max ihr zuwarf.
Eine Viertelstunde später hing die Schaukel.
»Wer darf zuerst?«, fragte Eve.
»Mach du nur«, murmelte Fré. Eve schaute erstaunt zu Max, aber auch der nickte. »Na klar, es war ja schließlich deine Idee.«
Eve setzte sich, bevor ihre Brüder es sich womöglich anders überlegten. Sie hatten das Holz ganz glatt geschmirgelt und geölt, man saß sehr bequem.
Wie lange war es wohl her, dass sie zuletzt geschaukelt hatte? Während sie immer höher und höher schwang, erinnerte sich Eve wieder, wie schön sie das immer gefunden hatte. Das Gefühl, dass die Welt ihr zu Füßen lag und sie wenigstens für einen Augenblick davon losgelöst war.
Sie stieß einen Jauchzer aus. Der Wind wehte ihr um die Ohren, ihre Haare flatterten. Ihre Flipflops hatte sie längst verloren, aber das machte ihr nichts aus. Die Luft kitzelte ihre nackten Füße.
Mit roten Wangen und wirrem Haar ließ Eve sich einen Moment später ausschaukeln.
»Wunderbar!«, sagte sie lachend zu Frederik, während Max schon zur Schaukel rannte. »Man schwebt wirklich in den Wolken dort oben.« Sie ließ sich neben ihren Bruder ins Gras sinken und bemerkte dann die Dose zwischen seinen Knien.
»Für dich«, sagte Frederik und reichte sie ihr.
Neugierig hob Eve den Blechdeckel ab.
»Wir haben sie in der Scheune gefunden, als wir nach einem geeigneten Brett für die Schaukel gesucht haben. Ich dachte, dass es dich vielleicht interessieren würde.«
Langsam leerte Eve die Dose. Sie war mit Fotos von einem kleinen Jungen mit kurzen blonden Haaren und einem unwiderstehlich schelmischen Lachen gefüllt. Er sah aus, als wollte er die ganze Welt aufessen. Eve betrachtete die Bilder mit einem Lächeln.
»Warum dachtest du, es würde mich interessieren?«
Frederik fischte das letzte Foto aus dem Stapel. »Darum.«
Eve blickte auf ein vertrautes Gesicht; dieses Mal lachte es. »Sie hat ja Locken auf diesem Foto, richtig viele!«
»Aber sie ist es.«
Eve schaute sich das Mädchen auf dem Foto noch einmal genau an. »Sie ist es ganz sicher. Sie war sehr hübsch. Und sie sieht so glücklich aus. Ob der kleine Junge ihr Bruder ist? Aber er ist so viel jünger und sie ähneln sich gar nicht.«
Das Mädchen und der blonde Junge blickten Eve lachend aus den Fotos entgegen. Eve zog ihren Rucksack zu sich und holtedas Porträt heraus. Sie verglich die Gesichter. Kein Zweifel. Dieselben Wangenknochen, dieselbe feine Nase und die zierlichen Ohren. Nur der Zug um den Mund und die Augen waren so unglaublich anders.
Frederik schaute ihr über die Schulter. »Warum ist sie dir eigentlich so wichtig?«
Eve schwieg. Sie wusste es selbst nicht genau. »Weil es ihr Haus ist«, antwortete sie schließlich.
»Aber jetzt wird es unser Haus.« Fré sagte es vorsichtig. Es klang richtig.
Eve lächelte. »Vielleicht müssen wir erst ihre Geschichte kennen, bevor es unser Haus werden kann?«
Frederik sah sich das Porträt noch einmal an. »Vielleicht.«
»Guten Morgen, meine Herzchen. Ehe wir uns ans Theaterspielen machen, kurz eine praktische Mitteilung.«
Eve schaute zu Gloria, die in den Raum geschwebt kam.
»Wie immer verbringen wir mit der ganzen Gruppe ein Wochenende bei Klaas. Dort entscheiden wir dann, was genau wir spielen werden. Und wie immer ist das am letzten Wochenende im Juli. Das habt ihr euch natürlich alle freigehalten? Gut so! Dann werden wir heute zum letzten Mal improvisieren. Ab nächste Woche möchte ich mit euch an unserem Theaterstück arbeiten.«
Die ganze Gruppe nickte, also nickte auch Eve, obwohl sie nicht den leisesten Schimmer hatte, wovon die Rede war. »Wohin genau gehen wir?«, fragte sie Lies.
»Hm?«
»Wer ist Klaas?«
Lies fing an zu lachen und Eve kam sich dumm vor. »Das kannst du ja auch nicht wissen«, sagte Lies. »Klaas ist Glorias Bruder. Wir übernachten in seinen Ställen. Er hat einen Bauernhof beim Ertrunkenen Land.«
Eve erinnerte sich vage daran, dass ihr Vater ihr etwas über ein großes Naturreservat erzählt hatte, Ebbe und Flut, die
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