Salzträume 1: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
Interesses. So jung, dachte er und begriff dann, daß dies nicht seine Gedanken waren.
„Ich habe deine Erinnerungen“, erläuterte sein Alter Ego.
„Warum habe ich dann deine nicht?“
„Weil du nur ein Mensch bist.“
„Ach, auf einmal? Was bist du denn dann? Ein Halbmensch!“ Er triumphierte.
„Werde nicht frech!“
„Betrüge dich nicht selbst! Was immer du warst, du bist jetzt Teil von mir. Ein kleiner Teil. Ein Anhängsel.“
„Kein Anhang. Ich bin der Inhalt. Du bist nur die Hülle.“
„Dreh mir nicht die Worte im Mund herum!“
Abermals schwiegen sie ein Weilchen.
„Warum ist das Fräulein im Berg?“ fragte Ian dann und ließ sich seufzend nieder.
„Er hat einen Eingang verschlossen. Sie ist gefangen. Sie reist mit einem jungen Verwandten von mir. Er meint es gut – was recht überraschend ist –, aber er wird sie früher oder später töten.“
„Nein. Wird er nicht!“ widersprach Ian starrköpfig. „Der junge Mann wird sie noch rechtzeitig retten.“
„Oh, der hat andere Träume“, antwortete seine eigene Stimme, „und er hat längst aufgehört, sich von ihnen leiten zu lassen. Er denkt, Liebe sei eine unwirkliche Vorstellung. So etwas geschieht, wenn man die Realität für wirklich hält. Eure Art läßt sich so schnell von zu viel Wirklichkeit blenden. Du hast ihr Herz an ein Nichts gebunden. Er glaubt nur, was er sieht, und er sieht ihre Not nicht. Er wird sie zu Grunde gehen lassen.“
„Nein!“ fuhr Ian auf. „Das lasse ich nicht zu.“
„Was willst du denn dagegen tun? Du kannst Menschen nicht träumen lassen. Du kannst Menschen nicht nach deinen Plänen handeln lassen. Dir ist nur wichtig, ein Fräulein nach einem Tanz verführen zu können.“
„Aber nicht sie.“ Sie hatte hübsch ausgesehen, war aber zu alt, mindestens einundzwanzig. Außerdem war sie zu groß. Ian war klein, und er hatte sie ja einem anderen Mann verbunden – oder sie hatten es beide getan. Er hatte ihre Liebe gespürt, und die Aufgabe hatte ihm Freude bereitet. Auch die Liebe des Mannes hatte er gespürt, wachsam, bedeckt und versteckt, eingekerkert hinter einem starken Willen und eiserner Zurückhaltung. Doch sie war da.
„Dann nicht“, entgegnete die Salzstimme. „Du kannst sie ohnedies nicht haben. Sie gehört dem Bluttrinker. Sie ist sein. Seine Fang, seine Beute, sein Überleben. Er wird sie nehmen. Sie hat nicht die Macht, ihm zu widerstehen.“
„Doch, die Macht der Liebe.“
„Was für eine Macht soll das sein?“ fragte der andere hochnäsig.
„Die Macht, die dir erlaubt, durch Menschengedanken zu gleiten, während sie schlafen. Das hast du selbst gesagt. Ich denke, es ist eine ganz außerordentliche Macht.“
„Sie gibt mir als Feyon Kraft über die Menschen – aber nicht umgekehrt.“
„Jetzt liebt sie aber den Blonden.“
„Sie hat ihn vorher auch schon gemocht, bevor du ihre Herzen aneinander gekettet hast. Es war leicht.“
„Doch ich habe es getan.“
„Nein, ich. Du willst nur ein Mensch sein, erinnerst du dich? Das ist alles. Du willst nach Hause gehen, willst, daß dein Onkel dich abholt. Du willst, daß deine Mutter dich in die Arme schließt. Du träumst von hübschen Fräuleins, mit denen du tanzt. Du willst meine Macht nicht. Hast du das nicht gesagt?“
Ian schwieg eine Weile. Es war schwierig, mit sich selbst zu streiten, verunsichernd, mit Argumenten geschlagen zu werden, die aus dem eigenen Kopf kamen. Der Teil von ihm, der nicht er selbst war, war so viel älter, und obwohl er nicht glaubte, daß er auch viel klüger war, einfach nur, weil Ian nie an die unanfechtbare Klugheit derer geglaubt hatte, die schon länger lebten als er selbst, fand er sich dennoch mitunter schachmatt gesetzt. Er war ehrlich genug zuzugeben, daß er sich das selbst zuzuschreiben hatte. Er hätte der Verlockung widerstehen müssen, Macht auszuüben, die ihm nicht zustand. Jetzt sehnte er sich danach. Das konnte er nicht wegdiskutieren. Von einem Wissen hatte er gekostet, das nicht für ihn bestimmt war, und jetzt wünschte er sich, in das Schicksal der Menschen einzugreifen, dabei konnte er noch nicht einmal sein eigenes ändern. Er konnte nicht einmal hier heraus.
„Ich will heim.“
„Du bist daheim. Das wird dir bald klar werden. ‚Heim‘ ist ein Gemütszustand und nicht abhängig von geographischen Gegebenheiten.“
„Trotzdem kannst du den Berg nicht verlassen. Ich finde einen Weg hier raus, und wenn du nicht aus meinem Sinn verschwindest, nehme ich
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