Salzträume 1: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
schwer. Es brauchte einen Traum von Geborgensein und Liebe. Den haben wir ihm geschenkt.“
„Gibst du allen Menschen die Träume, die sie brauchen?“
„Wir werden den Menschen Träume geben, die ihr Schicksal beeinflussen und ihre Gefühle zurechtschnitzen.“
„Du bescherst Alpträume.“
„Das Gute kommt stets mit dem Schlechten. So ist das Leben.“
„Du bist kein Mensch. Was weißt du denn schon vom Leben?“
„Menschen sind nicht die einzigen Wesen, die ein Leben haben oder dessen Wert kennen. Jede Kreatur träumt. Sogar die Berge – auf ihre Art. Manchmal, weit weg, spucken sie ihre Alpträume aus wie flammendes Blut.“
„Du meinst Vulkane.“
„Ich meine Leben.“
„Du bist Salz.“
„Salz ist in allem, und ich bin nicht nur Salz.“
„Ich will nicht bleiben. Warum willst du mir nicht hinaushelfen? Wir könnten zu mir nach Hause gehen, und du könntest dort neue Berge kennenlernen und andere Menschen, denen du Träume schicken kannst.“
„Ich bin Teil dieses Landes“, entgegnete die Stimme in ihm.
„Aber ich nicht“, gab Ian zurück. „Ich kann nicht ewig in der Dunkelheit überleben, und wenn ich das nicht kann, kannst du das auch nicht.“
„Du kannst lange im Dunkel überleben – mit meiner Hilfe.“
„Du könntest unter Menschen gehen, durch Städte spazieren – mit meiner Hilfe.“
„Dein Horizont ist zu beschränkt, als daß du wissen könntest, wovon du redest.“
„Du bist zu feige, um die Beschränkung deines eigenen Horizontes zu erkennen.“
Sie schwiegen.
Ian stand auf. Er hatte es wieder gelernt. Sein Leib schmerzte, seine Knochen wollten vor Anstrengung bersten, seine Muskeln kreischten geradezu. Doch er zwang sich, zu stehen und zu gehen, einen Schritt, dann noch einen und noch einen.
„Ich kann laufen. Also werde ich von hier fortgehen“, sagte er.
„Du könntest fliegen. Auf den Kraftlinien der Gefühle, auf der Macht der Liebe – und des Hasses und der Angst. Du könntest die Träume der kleinen, kurzlebigen Fleischhaufen im Flug besuchen. Fliegen ist reizvoller als gehen.“
„Du bist nie geflogen“, antwortete Ian verächtlich. „Du hast den Berg nie verlassen. Du warst nie draußen. Nicht körperlich.“
„Die körperliche Welt wird überschätzt. Sie ist nur ein kleiner Aspekt des riesigen Gesamtangebotes des Seins. Ihr Menschlein krabbelt auf der Erde herum und versteht gar nichts.“
„Ich verstehe viel. Eventuell nicht genug, aber ich kann lernen, und du auch. Stell dir vor, Städte voller Menschen. Du könntest mit dem wundervollsten Mädchen im Saal tanzen und es von dir träumen lassen.“
„Von dir, meinst du wohl. Mädchen, Knaben – ein und dasselbe.“
Ian ignorierte diese Äußerung.
„Wäre das nicht schön? Du könntest die Liebe in ihren Augen sehen und das Begehren in ihr fühlen. Du könntest ihr einen Traum senden, der sie zu dir bringt.“
„Zu dir, meinst du. Du würdest eine Gabe, die so alt ist wie die meine, dazu verwenden, dich mit Mädchen zu versorgen?“
„Ja und? Mädchen sind immer verführt worden, von dem Tag an, an dem Eva den Apfel ...“ Er hielt inne, auf einmal sicher, daß er keine religiösen Details mit dem Monster, das in seinem Körper lebte, diskutieren wollte.
„Eva ...“ murmelte die andere Stimme. „Der erste Sündenbock der Menschheit.“
„Die Mutter der Menschheit“, gab Ian ungestüm zurück.
„Möglich“, räumte die Stimme ein. „In der Endlosigkeit der Universen gibt es gewiß einen Ort, an dem sie das ist. Würdest du sie gern sehen?“
„Sehen? Eva?“
„Ja. Die Frau mit der Vorliebe für frisches Obst.“
„In einem Traum? Nein. Ich will nicht die Mutter der Menschheit in einem Traum sehen. Ich will meine eigene Mutter wiedersehen – in der Realität.“
„Deiner Religion nach hat sie den gleichen Charakter wie Eva, gibt den gleichen Versuchungen nach und ist auch immer noch Sündenbock für die Männer.“
„Hör auf!“ befahl Ian ärgerlich. „Das ist Gotteslästerung.“
Ein Lachen kam über seine Lippen.
„Ich bin Gotteslästerung“, sagte er.
„Ich bin ein guter Christ.“
„Du bist ein halber Feyon. Das Gefäß eines Mythos. Der Kelch meiner Existenz. Deine Mutter würde dich nicht wiedererkennen, und bald wird von deinem Glauben wenig übrig sein. Na Daoine-Maithe haben nie gelernt, Dogmen zu verstehen. Es ist so nutzlos.“
„Aber du weißt, was es ist“, konstatierte Ian interessiert – und gleichzeitig amüsiert ob seines
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