Salzträume 1: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
ohne Nachricht verschwunden. Allerdings könnte ich ihren Groll mit Gleichmut ertragen, wenn ich sie nur in Sicherheit wüßte.“
Cérise merkte, daß ihre Zofe ihren Entschluß, wegen nichts als einem bösen Traum aus heiterem Himmel weiter in die Berge zu reisen, gar nicht erst kommentierte. Doch Madeleine sagte nie viel. Sie war eine schweigsame Frau und an die plötzlichen Launen und jähen Entscheidungen ihrer Arbeitgeberin gewöhnt. Wenn sie dachte, die Konstellation einer ehemaligen Geliebten und der jetzigen Frau desselben Mannes sei geschmacklos, so sagte sie das nicht.
Es klopfte.
„Mon Dieu, jetzt ist sie da, und wir sind noch nicht fertig. Das ist zu peinlich. Du mußt dich etwas beeilen, Madeleine. Dies ist ein Notfall. Bitte öffne die Tür.“
Madeleine trat vom Koffer zurück, wurde jedoch sofort wieder aufgehalten.
„Nein, besser, du packst weiter. Ich werde aufmachen.“
Cérise ging zur Tür und öffnete sie. Doch es war nicht Mrs. Fairchild, die vor ihr stand, sondern eine weit ältere Dame von Anfang Fünfzig. Die Frau stand korrekt und kerzengerade da, wirkte angespannt und lächelte nervös. Sie trug ein elegantes Wollkostüm, das ausgezeichnet zu den grauen Strähnen in ihrem kastanienroten Haar und zu ihren grauen Augen paßte. Der einzige Schmuck, den sie trug, war eine wunderschöne Kamee, die das Reliefbild eines Kindergesichts zeigte.
„Guten Morgen, Mlle. Denglot. Es tut mir leid, daß ich schon so früh störe, aber ich muß Sie in einer dringenden Angelegenheit sprechen. Mein Name ist Sophie Treynstern.“
Lieber Himmel. Eine Bewunderin. Nicht, daß Cérise etwas gegen Bewunderer hatte – sie hatte sie sogar gern, auch wenn sie junge Männer alten Damen dabei vorzog. Doch so kurz nach dem Frühstück wollte sie keine sehen. Sie hatte ohnehin keine Zeit, sich mit ihnen zu befassen.
„Guten Morgen. Es tut mir auch leid, aber Sie kommen gerade heute etwas ungelegen. Sie müssen entschuldigen, ich bin im Moment sehr beschäftigt. Ich fürchte, ich muß die … Freude, Sie kennenzulernen, auf später verschieben.“
Sie nickte und versuchte dann, die Tür wieder zu schließen, doch die graue Dame hielt die Klinke fest und sah ganz ungeheuer entschlossen aus. Cérise staunte über soviel Ungezogenheit. Eine solche Beharrlichkeit ging über das Maß guter Sitten hinaus. Empörend. Natürlich waren ihre Bewunderer mitunter recht insistent, doch selbst den attraktivsten jungen männlichen Bewunderern hätte sie ein solches Benehmen nicht durchgehen lassen.
Sie holte tief Luft, doch die Dame in ihrer Tür unterbrach sie.
„Bitte, Mlle. Denglot. Es ist absolut wichtig. Es geht um ...“ Sie nahm ihre Stimme zurück und flüsterte: „... Torlyn.“
Cérise blieb der Mund offen stehen. Torlyn verriet seinen wahren Namen nie jemandem. Er war Graf Arpad für den Rest der Welt und einfach nur Arpad, wenn sie von ihm sprach, was sie im Grunde nie tat. Als unverheiratete Frau einen Liebhaber zu haben würde schon schlimm genug sein, wenn es jemals aufkam; einen Liebsten zu haben, der kein Mensch war, würde sie nicht nur in Schande, sondern auch in Gefahr bringen, und ihn ebenso.
„Was wissen Sie über ...“, begann sie, und dann verstand sie mit einem Mal. Die Dame war vielleicht nicht mehr jung, doch es war selbst jetzt noch deutlich zu sehen, daß sie einmal eine ganz außergewöhnliche Schönheit gewesen sein mußte. Ihre Gesichtszüge waren von klassischer Perfektion, ihre ausdrucksvollen Augen von langen dunklen Wimpern gesäumt, ihr Blick war voller freundlicher, mitfühlender Emotion.
Torlyn lebte schon lange. Sie hatte immer gewußt, daß er vor ihr auch schon geliebt hatte – wie sie auch wußte, daß es auch nach ihr Frauen in seinem Leben geben würde. Sie hatte nie darüber nachdenken wollen. Sie wollte die Zeit, die sie mit ihm teilte, genießen, und zu denken, daß sie alt werden würde, während er jung blieb und weiterzog, brach ihr das Herz. Sie wollte auch nicht über jene nachdenken, die dies bereits erlebt hatten.
Nun stand sie diesem Schicksal gegenüber.
Frau Treynstern stand reglos vor ihr. Cérise glaubte, einen Hauch von Wehmut in ihren Augen zu erkennen.
„Sie kommen wohl besser herein“, sagte sie, trat beiseite und lud ihren Gast ein einzutreten. „Madeleine, wenn du fertig bist, laß uns allein.“
Madeleine war fertig. Packen war kein Problem, wenn keine unentschlossene Primadonna andauernd störte. Sie nickte und ging.
„Nehmen Sie
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