Salzträume 1: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
Platz“, lud Cérise ihren Gast ein und hatte keine Ahnung, wie sie mit der Frau ein Gespräch in Gang bringen sollte. Sie wollte nicht mit ihr reden. Doch vielleicht wußte die Frau ja etwas über Torlyns Verbleib.
Sie blickte ihren Gast an und stellte fest, daß die Dame in Grau genauso peinlich berührt war wie sie. Auch sie genoß die Situation keineswegs.
Eine Weile herrschte emotionsgeladenes Schweigen.
Dann begann Frau Treynstern zu sprechen.
„Es tut mir wirklich leid, daß ich Sie störe, ganz besonders so früh am Morgen, und ich hätte Sie auch ganz bestimmt nie angesprochen ...“ Sie hielt inne, wußte nicht, wie sie den Satz beenden sollte. Nervös suchte sie einen neuen Anfang. „Bitte verzeihen Sie, doch ich glaube, daß wir in Torlyn einen gemeinsamen Freund haben. Seinen Briefen habe ich entnommen, daß er Sie sehr schätzt. Er hat natürlich nie gesagt, daß er ... daß Sie ... was ich meine, mit keinem Wort hat er ...“
Dieser Satz blieb auch unvollendet. Doch Cérise verstand trotzdem.
„Wir stehen einander nahe“, sagte sie und fragte sich, wo das alles hinführen sollte.
„Das dachte ich mir. Sie sind so schön und talentiert. Ich bin eigens von Salzburg angereist, um Ihre Konzerte zu hören. Ich lebe dort. Ich wollte Sie nur hören und sehen – ich gestehe, meine Neugier ist unverzeihlich. Gewiß wollte ich mich nicht aufdrängen. Bitte glauben Sie mir, ich bin nicht eifersüchtig. Torlyn und ich hatten unsere Zeit. Wir sind jetzt Freunde. Wir schreiben einander, doch wir treffen uns nie.“
Sie hielt erneut inne, schien ihren eigenen wirren Worten nachzulauschen. Dann holte sie tief Luft und sprach weiter.
„Was ich Sie fragen wollte – und ich weiß, daß ich dazu überhaupt kein Recht habe – ist, ob Sie in letzter Zeit von ihm gehört haben. Ich weiß nicht recht, wie ich es Ihnen erklären soll, aber ich mache mir ganz außerordentliche Sorgen um ihn. Ich hatte gehofft, Sie hätten vielleicht eine Nachricht ...“
Cérises Mut sank. Aus dieser Ecke war keine Entwarnung zu erwarten. Dies klang eher nach dem Gegenteil.
„Frau Treynstern, er hätte eigentlich nach Ischl kommen sollen, doch bislang ist er noch nicht eingetroffen. Ich würde mir normalerweise noch keine Sorgen um ihn machen, doch letzte Nacht ...“
Nun war es Cérise, der es nicht gelang, ihren Satz zu vollenden. Die beiden Frauen sahen einander eine Weile schweigend an.
„Ich hatte letzte Nacht einen Traum“, berichtete Frau Treynstern. „Ich leide nicht oft an Alpträumen, und gewiß hatte ich noch nie einen wie diesen. Er erschien so bedrohlich. So real. Ich weiß, es klingt absurd, und ich versichere Ihnen, daß ich üblicherweise nicht zu hysterischen Ausbrüchen neige. Mein Leben verlief in recht ungewöhnlichen Bahnen, und ich gerate nicht schnell in Panik ...“
„Sie haben geträumt, daß er stirbt“, unterbrach Cérise.
Frau Treynstern nickte.
„Ich auch“, fuhr Cérise fort und hielt sich die Hände vor den Mund. „Ich auch.“
Wieder teilten sie ein betroffenes Schweigen.
„Es ist mir nicht entgangen, daß Sie packen, Mlle. Denglot. Wenn Sie eine Ahnung haben, wo er zu finden ist ... ich wäre wirklich dankbar ...“
„Ich verlasse Ischl für einen Abstecher in die Berge, an einen Ort namens Aussee. Mrs. Fairchild, eine Freundin von mir, hatte heute nacht auch einen beängstigenden Traum, der ihren Gatten betraf. Ihr Mann war unterwegs nach Aussee. Wir haben beschlossen, ihm zu folgen, um den Grund für unsere Träume zu finden.“ Sie blickte direkt in die grauen Augen ihres Gastes, der ehemaligen Geliebten, der Freundin Torlyns. Der Frau, die mit ihm korrespondierte. Der Frau, die über sie Bescheid gewußt hatte, während sie noch nie von ihr gehört hatte. „Mir ist klar, daß es ein wenig verrückt erscheint, nur aufgrund eines Traums zu packen und loszufahren. Zweier Träume.“
„Dreier Träume“, fügte Frau Treynstern hinzu. „Waren die Herren gemeinsam unterwegs?“
„Das nehme ich nicht an. Doch unsere Träume zeigten sie in der gleichen Umgebung und in der gleichen Todesgefahr.“
„Eine Höhle oder Mine?“
„Genau.“
Abermals Schweigen.
„Mlle. Denglot, ich verstehe, daß Sie mich wahrscheinlich auf den Mond wünschen. Glauben Sie mir. Ich verstehe Ihre Situation. Doch ich bitte Sie, mich mitzunehmen. Vielleicht kann ich helfen. Ich bin eine Einheimische. Die Leute in den Bergen werden mir möglicherweise mehr anvertrauen als Ihnen. Ich kenne
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