Salzträume 1: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
keiner Zeit hatte es Gelegenheit gegeben, ungestört mit Leopold zu sprechen. Dafür war sie dankbar. Sie wußte, er würde sie erst auf Privates ansprechen, wenn sie allein waren. Dennoch, fand sie, hätte er ihr zumindest einen Hinweis geben können, daß sie mehr war als zufällig die Gastgeberin dieses Abends. Doch er hatte keinerlei Andeutung gemacht.
Traurig war sie darüber nicht. Er ließ sich Zeit mit der Entscheidung, und sie auch. Sie war durchaus nicht sicher, ob sie diesen etwas steifen, gönnerhaft-jovialen und allzu selbstbewußten Mann wirklich heiraten wollte, obgleich er recht ansehnlich aussah. Er war in der Tat größer als sie, etwas, wofür sie dankbar war, weil es nicht allzuoft vorkam. Sein dunkles Haar war präzise gescheitelt und ordentlich pomadisiert. Er trug einen Schnurr- und einen Backenbart, und beide waren um einiges heller als sein Haar und gingen in einen rötlichen Ton über. Seine Augen waren grün. Das hatte sie gar nicht mehr gewußt.
In der Tat sah er besser aus als sie. Wahrscheinlich benahm er sich auch gewandter. Er war gut in kultiviertem, bedeutungslosem Geplauder. Sie nicht. Sie mußte sich erst daran gewöhnen, die huldvolle Gastgeberin zu spielen und erhielt von ihrem Onkel, der ungewöhnlich schweigsam war, wenig Unterstützung. Das beunruhigte sie. Doch sie brauchte ihre ganze Konzentration, um charmant und witzig – oder wenigstens nicht allzu tolpatschig und ungehobelt – zu sein und dabei möglichst kein heikles Thema anzuschneiden.
Sie fragte Leopold nach seinen Reisen, und er bedachte sie mit etwas Jägerlatein von gefährlichen Dschungelbestien und den unglaublichen Manieren wilder Eingeborenenstämme. Auf die unglaublichen Manieren selbst ging er leider nicht weiter ein, er glaubte offensichtlich, eine junge Dame mit solchen wüsten Details nicht belasten zu dürfen. Doch in der Tat war sie weniger schockiert als interessiert. Nur wußte sie keinen Weg, ihm das mitzuteilen.
Charly fand die Art, wie er fremde Kulturen nach den Normen seines zentraleuropäischen Gentleman-Codes beurteilte, ein wenig befremdlich. Wenn man alles einzig und allein nach den Gepflogenheiten der Wiener besseren Gesellschaft bewertete, tat man im Grunde gut daran, sich von Wien keinen Schritt wegzubewegen. Doch auch das konnte sie nicht sagen.
Also lächelte sie und hörte andächtig allem zu, was er ihr erzählte, auch wenn das meiste ausgesprochen vage war. Sie fragte denn auch die anderen Herren zu deren Reiseerfahrungen, doch die meisten von ihnen hatten Österreich nie verlassen. Sie sprachen wenig. Einige von ihnen schienen von dem gehobenen Ambiente des Dinners allzu beeindruckt zu sein, und andere machten einen fast bekümmerten Eindruck.
Junge Männer, die zur Jagd gingen, hatten vermutlich keine Lust, sich mit einem schweigsamen Gelehrten mittleren Alters und einer nicht besonders hübschen Bohnenstange von Blaustrumpf abzugeben. Sie mußten auf ihr Benehmen achten, dabei waren Jagdpartien dazu angetan, jungen Herren ein wenig Freiheit zu gewähren. Normalerweise hätten die Männer in einem der Gasthäuser residiert und mit den ortsansässigen Mädchen geschäkert.
Nur war diese Einladung anders, und sie fühlten sich ganz offensichtlich nicht wohl. Doch sie beugten sich den Notwendigkeiten, weil sie großen Respekt vor Leopold hatten. Tatsächlich blickten sie ihn manchmal so an, als wäre er nicht ihr Freund, sondern ihr Vorgesetzter.
Das Menü, das die Köchin gezaubert hatte, war ausgezeichnet. Die Speisen waren eher bodenständig als extravagant, doch gut zubereitet und schmackhaft. Es gab fünf Gänge, außerdem Horsd ’ œuvres, Suppe und zum Nachtisch eine Mehlspeise. Die Herren aßen mit großem Gusto, und sie ignorierte die Tatsache, daß zwei von ihnen größere Schwierigkeiten hatten, sich durch die Anordnung des Bestecks zu finden. Man konnte ein anständiger Mensch sein, auch wenn einem die Geheimnisse von Butter- und Fischmesser nicht geläufig waren.
Dennoch hatte es etwas Seltsames, diese Männer in Leopolds Gesellschaft zu sehen. Je mehr sie mit dem Mann sprach, der vielleicht ihr Verlobter sein würde, desto mehr kam sie zu dem Schluß, daß er kein bißchen aufgeschlossen und unbeschwert war. Wollte er sie beeindrucken? Nur womit? Mit der Spießigkeit, die ihn als zuverlässigen Herrn der besten Kreise darstellte? Oder mit einer gewissen Offenheit, die sich in der Wahl seiner Freunde zeigte?
Nichts schien zusammenzupassen. Doch sie hatte auch
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