Salzträume 1: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
ausbreiteten. Die Kugeln hatten ihn in die Lunge getroffen. Seine Hände flogen zu den Wunden, und für einen Augenblick sah er zu, wie helles Blut in einem Strahl aus ihm herausspritzte.
Mit einem einzigen unglaublichen Satz sprang er auf Leopold zu. Er erreichte ihn nicht. Ein dritter Schuß fiel, traf ihn in den Rücken und explodierte vorne aus seiner Brust. Die Wucht und sein eigener Schwung rissen ihn nach vorn. Er knurrte, dann sank er auf die Knie. Seine schwarzen Augen sahen hoch, und er drehte sich, noch während er zur Seite kippte.
„Sie!“ sagte er zu jemandem, den Charly aus ihrem Blickwinkel nicht erkennen konnte. Er fiel in seine eigene Blutlache.
Charly merkte, daß sie schrie.
Kapitel 9
Bisher war die Reise anstrengend gewesen. Bald würde es dunkel werden. Der Kutscher hatte die Pferde den ganzen Tag mit gleichbleibender Geschwindigkeit dem Ziel entgegengelenkt, so schnell, wie es durch die Berge eben ging. Sehr langsam manchmal, wenn die holprigen Straßen selbst für vier Zugtiere allzu steil wurden. Immerhin mußten sie fünf Menschen mit viel zuviel Gepäck transportieren. Das meiste davon gehörte der Sängerin, die es offenbar für nötig befunden hatte, den halben Haushalt einzupacken. Corrisande musterte ihre Reisegefährtinnen aus halbgeschlossenen Augen.
Marie-Jeannette, ihre Zofe, wirkte teilnahmslos und übellaunig. Sie konnte nicht verstehen, warum sie Ischl verlassen mußten, um noch weiter in die Berge vorzudringen und dort noch unkomfortabler abzusteigen als in Ischl, und der Gedanke, sich nun um drei Damen kümmern zu müssen anstatt um eine, bereitete ihr auch keine Freude. Zudem fühlte sie sich ausgegrenzt, denn man hatte ihr wenig erklärt, auch wußte sie nicht so recht, was geschah. Corrisande war ihr mehr als nur Arbeitgeberin, fast so etwas wie eine Freundin. Dennoch gab es Dinge, die Corrisande niemandem – auch nicht ihrer Zofe – erzählte, und das waren alles Dinge, die mit dem Fey-Element in ihrem Leben und dem der anderen Damen zu tun hatten.
Cérise sah verunsichert und verärgert aus. Sie war für eine Reise in die Berge zu elegant gekleidet, und ihr festgefrorenes Lächeln verriet, daß sie eisern bemüht war, mit einer Situation umzugehen, die ihr nicht behagte. Sie wirkte in der Tat, als sei sie nur einen Herzschlag von einer lauten, hysterischen Szene entfernt, doch zu stolz, um ihrem Bedürfnis danach nachzugeben. Ab und zu warf sie der vierten Reisenden einen verstohlenen Blick zu, der voller Fragen war, die sie dann aber doch nicht stellte.
Die vierte Reisende hatte Corrisande zunächst beunruhigt. Als Corrisande und Cérise von ihrem Frühstück aufstanden, war sie noch mit keinem Wort erwähnt gewesen, und es hatte keinesfalls den Anschein, daß die Dame eine enge Vertraute der Sängerin war. Warum war sie mitgekommen? Corrisande hatte sich gegen ihr Beisein nicht gewehrt, hatte sich darauf verlassen, daß Cérise wußte, was sie tat, doch sie hatte eine Weile gebraucht, um die losen Gedanken in ihrem Kopf zu einem logischen Ganzen zusammenzuspinnen. Die mögliche Erklärung war interessant.
Die Ähnlichkeit der beiden Frauen in Ausstrahlung und Aussehen war zu groß, um übersehen zu werden. Frau Treynstern war um die fünfundzwanzig Jahre älter als Cérise, doch wie die Sängerin besaß auch sie ebenmäßige, klassische Züge und eine Ausdrucksstärke, die sie sehr gewinnend machte. Sie schien auch eine intelligente, unabhängige Frau zu sein. Cérise hatte sie als Freundin vorgestellt, die bei der Suche nach Graf Arpad helfen würde.
Der Feyon war vermutlich sehr viel älter, als er aussah. Warum sollte er nicht irgendwann der Freund und Geliebte Frau Sophie Treynsterns gewesen sein? Wahrscheinlich hatte er fünfundzwanzig Jahre zuvor ebensogut ausgesehen und unwiderstehlich gewirkt wie heute: charmant, verführerisch, berauschend und voller Geheimnisse. Corrisande begriff die grüblerischen Blicke, die die Sängerin ihrer Reisebegleitung zuwarf. In ihr sah sie nicht nur die Vergangenheit ihres Liebsten, sondern auch ihre eigene Zukunft. Es mußte eine verunsichernde Erfahrung sein.
Corrisande mochte den Grafen. Sie verstand seine Anziehungskraft, und obgleich sie nicht ihr Herz an ihn verlor, weil sie es längst und ausschließlich Philip geschenkt hatte, spürte sie doch, daß es schwierig sein mußte, ihm zu widerstehen, wenn er wünschte, daß man ihn liebte. Er konnte auf subtile, charmante Weise schlichtweg überwältigend sein,
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