Salzträume 1: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
keine Erfahrung mit ganzen Gruppen junger Männer, und so tastete sie sich vorsichtig durch die verborgenen Untiefen der Konversation, versuchte, eine gute Zuhörerin zu sein und nichts von sich zu geben, was ihr als allzu freidenkerisch oder einfach nur zu intellektuell ausgelegt werden konnte.
Sie war im stillen Herrn Meyer dankbar, der ihr zweimal aus einer peinlichen Gesprächspause half, indem er gekonnt einen klugen Kommentar abgab. Sie sprachen über Schach, und sie erfuhr, daß er wie sie das Spiel der Könige liebte. Dann trieb die Unterhaltung weiter, nachdem Leopold angemerkt hatte, die Beschaffenheit des weiblichen Gehirnes lasse es physiologisch nicht zu, daß Frauen beim Schachspiel über eine gewisse Grenze hinauskamen. Er meinte das nicht als Beleidigung, versicherte er. Es war ein Naturgesetz.
Sie hob ihr Glas und versuchte wieder, huldvoll zu lächeln. Von der anderen Seite des Tisches lächelte es zurück, nur eine Sekunde lang. Hellblaue Augen sprachen eine stumme Entschuldigung aus.
Inzwischen war sie besser darin, über absolut nichts zu konversieren. „Absolut nichts“ war ein wunderbares Thema, wenn man darauf bedacht war, nichts falsch zu machen. Charly merkte, welches Bild die Männer von ihr hatten, nämlich das eines uninteressanten, aber vielleicht ganz netten Mädchens. Um die Herren zufriedenzustellen, mußte sie nur diese Einschätzung bestätigen. Das war leicht. Natürlich würde Leopold mehr über sie wissen müssen, wenn er sie wirklich ehelichen wollte. Doch dieser Abend war nicht dazu angetan, tiefergehende Charaktereinsichten zu bieten. Das Einzige, das sie wirklich gerne getan hätte, wäre gewesen, Leopold zu einer Partie Schach herauszufordern. Noch viel lieber hätte sie eine Partie gegen den ruhigen, blonden Herrn gespielt. Er schien freundlich und intelligent zu sein, und sein Lächeln hatte etwas ganz Besonderes an sich.
Nach der Mehlspeise ließ sie die Herren mit ihrem Cognac und ihren Zigarren allein, wie man es von ihr erwartete. Im Damenzimmer auf sie zu warten hatte angesichts der Tatsache, daß sie die einzige anwesende Frau war, keinen Sinn. Also lächelte sie wieder huldvoll – inzwischen konnte sie das gut – und sagte, sie werde sie später im Salon erwarten.
Sie suchte ihr Versteck auf. Im Speisezimmer gab es einen großen, direkt in die Wand gebauten Kachelofen, den man von hinten beschickte. Dazu diente hinter dem Ofen ein winziger Gang. Zwischen Wand und Ofen gab es kleine Spalten. Von da aus konnte man Teile des Raumes sehen, nicht alles, doch genug, um einen Eindruck zu bekommen. Als Kind hatte sie sich oft dort versteckt und den Gästen ihrer Eltern zugehört, während jeder sie im Bett wähnte. Meist war die Unterhaltung jedoch langweilig und schrecklich politisch gewesen.
Inzwischen hätte sie den Debatten folgen können, doch sie bezweifelte, daß die Herren über Politik sprechen würden. Allerdings wußte sie nicht, worüber Herren zu sprechen pflegten, wenn sie unter sich waren. Deshalb wollte sie ja lauschen.
Zu ihrem Erstaunen saßen sie ganz still da. Nach einigen Minuten stand einer auf, ging zu der Tür, durch die sie den Raum verlassen hatte, öffnete sie und blickte auf den Korridor.
„Ist sie weg?“ fragte Leopold.
„Ja“, antwortete der Mann, der sich als Johannes Traber vorgestellt hatte.
„Gut“, sagte Leopold und wandte sich an Traugott. „Haben Sie getan, worum ich Sie gebeten habe?“
Ihr Onkel zuckte zusammen, als hätte ihn jemand geschlagen.
„Ich habe Graf Arpad eingeladen. Er hat mich wissen lassen, daß er uns am späteren Abend aufsuchen wird. Er reist gerne spät an.“
„Er ist ein Sí?“ fragte Leopold, obgleich er die Antwort augenscheinlich kannte.
Charly stand das Herz still. Ein Sí kam sie besuchen. Ein Feyon. Jemand, mit dem sie über Sevyo reden konnte. Jemand, der vielleicht war wie Sevyo, liebevoll, freundlich und voll sanfter Fürsorge. Jemand, der ihr beweisen konnte, daß Sevyo wirklich existiert hatte und nicht nur eine dumme Einbildung gewesen war, ein Trugbild, wie ihre Eltern sie das hatten glauben machen wollen.
„Soweit ich weiß“, erwiderte Traugott, „und ich erinnere Sie noch einmal daran, daß er unser Gast ist. Als Gast genießt er den Schutz dieses Hauses. Sie haben mir das zugesagt.“
Die Gesichter der Männer blieben reglos, und doch meinte Charly, einen Hauch von Hohn in ihnen zu sehen.
„Wir werden ihm nichts tun“, versicherte Leopold. „Wir wollen nur mit
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