Salzträume 1: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
hoffte, sie würde es nicht hören. Er bekämpfte seine Lust mit aller Vernunft, die ihm noch geblieben war, versuchte, an ein langweiliges Buch zu denken, an eine endlose, politische Debatte, an eiskalte Bergquellen. Er haßte eiskaltes Bergwasser. Darauf wollte er sich konzentrieren. Sie sagte nichts.
„Ich habe dir doch nicht weh getan?“ fragte er schließlich, als er sich auf seine Stimme wieder verlassen konnte.
„Nein“, gab sie zurück, „aber es war …“ Sie hielt inne und lief rot an. Als ihre Wangen sich von dieser Regung erholten, sah er, wie blaß sie nun war. Er mußte lernen, sich zu zügeln.
Ein illusorischer Vorsatz. Seine Entschlossenheit würde in den nächsten Tagen ab-, nicht zunehmen.
„War es schlimm?“
Ein Lächeln formte sich auf seinen Lippen. Ein fremder Ausdruck lag in den sanften, braunen Augen.
„Nein. Ich glaube, ich fange an, mich an das Eindringen deines Willens in meinem Geist zu gewöhnen, und das Eindringen deiner Zähne ist …“ Sie hielt erneut inne und fuhr schließlich fort, nachdem sie die Worte, die sie eigentlich hatte sagen wollen, hinter ihrer Fassade von sachlicher Analyse verstaut hatte: „… in der Tat nicht schmerzhaft.“
Er grinste.
„Gut“, sagte er. „Deine Angst nimmt ab.“
„Nun“, gab sie zurück, „ich habe keinen Grund, Angst vor dir zu haben. Du hast gesagt, ich müsse dir vertrauen. Das tue ich.“ Sie machte eine Pause und senkte den Blick. „Es tut mir leid, daß ich heute Morgen beim Aufwachen fast wieder in Panik ausgebrochen bin. Ich wollte nicht zum Ausdruck bringen, daß ich dir nicht traue. Es ist nur, du bist …“ Sie sprach nicht weiter, es war ihr zu peinlich.
„Ich bin ein Mann“, vervollkommnete er ihren Satz.
„Ja“, flüsterte sie beschämt. „Sehr sogar.“
Er begann zu lachen, erst leise, dann prustete er los. Das half seiner Gemütslage. Das Gefühl unerfüllter Leidenschaft klang ab. Die Erregung verebbte.
„Du bist wundervoll, und danke für das Kompliment.“
„Gern geschehen.“
Gern geschehen hätte er etwas anderes lassen wollen.
„Natürlich weiß ich nicht viel“, fuhr sie fort und nahm somit das Lob quasi wieder zurück, „über Männer, und was ich gestern an Wissen hinzugewonnen habe, ist nicht dazu angetan, mein Verlangen nach praktischer Vertiefung des Erlernten zu steigern. Wissen aus Büchern ist allemal vorzuziehen. Sie greifen einen in den seltensten Fällen an.“
Er kicherte. Bisher hatte er nicht bemerkt, daß sie Sinn für Humor hatte. Doch in der vergangenen Nacht Humor zu erwarten wäre wohl auch unrealistisch gewesen.
„Liest du viel?“ fragte er.
„O ja“, antwortete sie. „Onkel Traugott hat eine interessante Sammlung an Schriften. Manchmal wünschte ich, ich wäre ein Mann und könnte an die Universität gehen und all die phantastischen Fächer studieren. Ich bin ein furchtbarer Blaustrumpf, mußt du wissen.“
„Abscheulich“, pflichtete er ihr bei. „Das muß ich mir merken. Die Dame erstrebt unmädchenhaftes Wissen. Am besten rede ich nicht mehr mit dir.“
Sie kicherte. Ihre Augen blitzten auf und ließen ihr Gesicht in unerwarteter Anmut erstrahlen. Dann lehnte sie sich plötzlich zurück auf den Boden.
„Alles in Ordnung?“
Sie atmete behutsam ein.
„Ich fühle mich schwindlig.“
Der Blutverlust. Eine normale Reaktion.
„Lieg einfach eine Weile still. Das geht vorbei. Entspann dich. Denk an etwas Schönes, vielleicht an dein Lieblingsbuch.“
„Ich werde an das Lied denken, das du gestern gesungen hast. Du hast eine fabelhafte Stimme.“
„Danke. Als Vampir kommt man nicht oft in den Genuß, Schlaflieder zu singen.“
„Du hast es trotzdem gut gemacht, und ich danke dir dafür. Leider kann ich mich an das Ende nicht mehr entsinnen.“
„Das heißt wahrscheinlich, daß es ein gutes Schlaflied war.“
„Sehr wirksam“, stimmte sie bei. Dann wurde sie ernst. „Ich wüßte gern, was diese Männer mit Onkel Traugott und den Dienern gemacht haben. Ich mache mir Sorgen.“
„Mein liebes Kind, deinem Onkel und deiner Dienerschaft geht es sicher besser als dir. Was sollen sie ihnen schon getan haben? Sie können kaum einen ganzen Haushalt ausrotten. Sie wollten mich. Hättest du nicht beschlossen, mir zu helfen, wärst du jetzt wahrscheinlich zu Hause und in Sicherheit.“
Sie lachte.
„Ich würde es wieder tun“, sagte sie und rümpfte ihre Nase, „was mit ziemlicher Sicherheit bedeutet, daß meine geistigen Fähigkeiten
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