Sam & Emily: Kleine Geschichte vom Glück des Zufalls (German Edition)
hin und erhielt die Auskunft, dass von Vegas aus alle neunzig Minuten ein Bus nach Mexiko gehe. Täglich neun davon nach Tijuna. Und acht fuhren die Strecke nach Mexiko City.
Da der Bus erst in zwei Stunden abfahren würde, setzte sich Sam, sobald er sein Ticket in der Tasche von Buzz’ alter Jeansjacke verstaut hatte, in den Wartebereich neben eine ältere Dame im Trainingsanzug. Sie erzählte ihm gleich, dass sie nur mit dem Bus nach San Diego fahren würde, wo sie ihre Cousine besuchen wollte, weil sie Angst vorm Fliegen hätte. Zwei ganze Tage würde sie dafür im Bus sitzen.
Sam nickte und sagte, er sei auch noch nie geflogen. Er fügte nicht hinzu, dass er sich jedenfalls nicht daran erinnern könne. Vielleicht war er in Wahrheit ja Pilot – wer wusste das denn schon. Die alte Dame fasste es so auf, als habe Sam auch Flugangst.
Für Irene Robichaux war es ein großer Trost, dass so ein hübscher, tougher junger Mann ihr gegenüber zugab, dass er noch nie geflogen war. Der Busbahnhof war über die Jahrzehnte des Öfteren umgestaltet worden, aber sein Innenbereich sah immer noch so ähnlich aus wie damals, als Irene davon träumte, mit einem jungen Mann wie Sam auf einer Bank zu sitzen. Das war jetzt sechzig Jahre her.
Und als Sam neben ihr von einem Moment zum andern einschlief, sein Kopf zur Seite kippte und dann auf ihre Schulter rutschte, da machte ihr das gar nichts aus. Im Gegenteil. Er roch nach Kiefernnadeln und nach Lagerfeuer unter freiem Himmel.
Irene schloss die Augen und fühlte sich Momente lang, als ob sie wieder siebzehn wäre. Und sie war aus mit einem jungen Mann, der hübscher war als alle anderen in der Stadt.
***
Es war bereits so gut wie ausgemacht, dass Riley Holland dieses Jahr Ballkönig sein würde.
Jedenfalls galt das so lange, bis der Eintrittspreis für den Ball im Mountain Basin Inn viel billiger wurde, nachdem Bobby Ellis dort von zwei Mafiosi, hinter denen bereits seit längerem die Polizei her war, eine Treppe heruntergestoßen worden war.
Es gab auch Gerüchte, das FBI sei in die Sache verwickelt, weil Bobby Ellis den wichtigeren der beiden Typen unmaskiert gesehen hatte. Bei den Mafiosi handelte es sich eindeutig um Fremde, so viel war jetzt klar. Das alles hatte Bobby unter dem Siegel höchster Verschwiegenheit Farley Golden erzählt.
Riley Holland war klug und witzig, vor allem aber war er ein netter Kerl. Außerdem handelte er immer wohlüberlegt – und nicht weil er glaubte, dass es ihm irgendwelche Vorteile einbringen würde. Er war einfach so.
Als die Stimmung sich deshalb drehte und man allgemein der Meinung war, nicht Riley Holland, sondern Bobby Ellis solle zum Ballkönig gewählt werden, ließ Riley natürlich durchblicken, dass er ein wenig enttäuscht war.
Tatsächlich aber steckte er selbst dahinter. Er hatte in die Welt gesetzt, dass es sich eigentlich gehöre, Bobby Ellis zum Ballkönig zu wählen. Als Zeichen der Anerkennung. Riley Holland fand es nämlich peinlich, Ballkönig zu sein. Das war so ähnlich, wie wenn während eines Footballspiels die Mädchen im Chor hysterisch deinen Namen riefen. Einfach uncool.
Dafür fehlte Bobby Ellis natürlich das Gespür.
In der Churchill High School wurde das Ergebnis der Wahlen zum Ballkönig und zur Ballkönigin immer in der Woche vor dem großen Ereignis verkündet. Sechs Jahre zuvor hatten sich zwei Mädchen, die um den Posten der Königin wetteiferten, deswegen auf der Toilette in die Haare gekriegt, es war in eine richtige Prügelei ausgeartet und danach hatte die Schulverwaltung beschlossen, dass bei der Verkündigung des Wahlergebnisses in Zukunft immer eine Aufsichtsperson anwesend sein musste. Weil der Ball von den beiden oberen Klassen gemeinsam gefeiert wurde, konnten der König und die Königin aus beiden Jahrgängen gewählt werden. Aber meistens stammten sie aus der Abschlussklasse.
Als dann am Donnerstag vor dem Ball bei einer Versammlung in der Turnhalle die Ergebnisse der Abstimmung verkündet wurden, war es schließlich Bobby Ellis, der zum Podium hinaufschritt, sich die lächerliche Goldkrone aufsetzte und neben Summer Maclellan für das Foto posierte. Summer, das hübscheste Mädchen an der Schule, war zur Ballkönigin gewählt worden. Bobby hob seinen gesunden Arm und reckte mehrmals kämpferisch die Faust in die Luft.
Sieg.
Die Menge tobte.
Weit oben auf der Zuschauertribüne saß Emily und bemühte sich krampfhaft, Interesse zu heucheln. Aber schon allein das Zuschauen war ihr
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