Sam & Emily: Kleine Geschichte vom Glück des Zufalls (German Edition)
auch schon wieder zurück. Mit einem Schuh in seiner Hand. Einem Schuh gefüllt mit Wasser.
Riddle hielt ihn an Sams Mund und Sam hob leicht den Oberkörper an, doch das war wohl ein Fehler. Ein Riesenfehler eher, denn jetzt fuhr ihm der Schmerz durch die Schulter und die Rippen bis hinab zur Hüfte. Sein Kopf war kurz davor zu explodieren.
Doch Riddle verstand gleich. Er hielt den Schuh ein wenig näher an Sams Mund, sodass das Wasser seine Lippen benetzte, und es war eisig kalt und schmeckte süß und lief ihm an den Mundwinkeln herunter. Und trotz der Schmerzen schaffte er es, einen Teil davon zu schlucken.
Jetzt war er sicher, dass er noch am Leben war.
Er trank den ganzen Schuh aus, obwohl die Schulter bei der leisesten Bewegung bereits wie Feuer brannte.
Er schrie vor Schmerzen auf und Riddle nahm ihn wieder in den Arm und fragte ganz verzweifelt: »Bist du okay, Sam? Ja?«
Sam schloss die Augen. Er spürte jetzt erst, dass er auf einem Kissen aus lauter kleinen Kiefernzweigen lag. Das musste Riddle ihm so hergerichtet haben. Er sagte aber nur: »Mir ist so kalt…«
Und dann versank die Welt zum zweiten Mal in Dunkelheit.
***
Die Nachtluft war so schneidend kalt, dass Sam am ganzen Körper zitterte. Riddle riss jedes einzelne Farnkraut aus, das er am Flussufer finden konnte, und brachte schließlich ganze Arme voll davon zurück.
Er zog den großen alten Pullover aus, den Sam für ihn aus dem Heck des Lasters gefischt hatte, und wickelte ihn Sam um die Beine. Anschließend bedeckte er ihn Schicht um Schicht mit den Farnen, die alle akkurat in gleicher Richtung angeordnet waren, bis schließlich nur noch Sams Kopf zu sehen war.
Dann hob er die Farndecke ein wenig an und schlüpfte neben seinen Bruder. Er hoffte, dass seine Körpertemperatur sie beide wärmen würde.
***
Riddle wachte schon beim ersten Morgengrauen auf. Sams Brust bewegte sich. Er atmete. Und lebte also noch. Dann merkte Riddle, dass er Hunger hatte. Ganz schrecklich großen Hunger. Aber unter dem Farnkraut neben Sam war es so schön warm, dass er abwartete, bis die Sonne höher am Himmel stand und kleine leuchtend gelbe Tupfer auf Sam und das Flussufer warf. Da erst stand er auf.
Wie am Abend zuvor füllte Riddle seinen Schuh mit dem eisigen Wasser des aufgewühlten Flusses und trank davon. Hoffentlich beruhigte das den Krampf in seinem Magen. Aber leider half das Wasser nicht. Er setzte sich auf einen faulenden Baumstumpf, der aus einem Teppich aus Kiefernnadeln und Reisig hervorragte.
Sam wusste immer einen Weg. Aber jetzt lag Sam unter dem Farnkraut. Und wollte nach wie vor nicht aufwachen. Riddle starrte auf seine linke Hand. Irgendetwas Kleines kroch da. Neben seinem linken Daumen, der auf der verrottenden rötlichen Rinde des Stumpfes lag, wühlten sich kleine glänzende Käfer in ein Loch hinein.
Die sehen aus wie Bonbons.
Bonbons mit Beinen.
Riddle griff sich einen der Käfer. Der Käfer fing zu zappeln an. Da riss ihm Riddle alle sechs seiner angewinkelten kleinen Beine aus. Jetzt zappelte er nicht mehr.
Jetzt sieht er wie ein richtiges Bonbon aus.
Dann steckte er ihn in den Mund und begann zu kauen.
Er schmeckt nicht wie ein Bonbon.
Er schmeckt wie eine salzige Nuss.
Wie eine Nuss, die zwischen den Rücksitzen des Lasters geklebt hat und die ich erst nach langer Zeit entdecke und dann heimlich esse, ohne dass Sam es weiß.
Riddle griff sich vier weitere Käfer, riss ihnen die Beine aus und aß sie auf. Sie schmeckten ihm jetzt immer besser, sodass er schließlich mit beiden Händen in dem Loch rumwühlte und sich die Käfer scharenweise rausholte.
Und das Geknirsche ist auch lustig.
***
Riddle nahm einen spitzen Stock, bohrte damit noch tiefer in das faulige Astloch hinein und stöberte dort Hunderte von Käfern auf.
Er aß davon, bis seine Zunge sich ganz geschwollen anfühlte. Die Käfer schmeckten nämlich säuerlich und hinterließen das gleiche Gefühl auf der Zunge, wie wenn man an einem gepfefferten Zitronenspalt leckte. Da Sam auch bald etwas würde essen müssen, klaubte Riddle zahllose Käfer auf, entfernte ihre Beine und legte die Körper in seinen Schuh.
Aber weil er befürchtete, dass Sam von dem pikanten Käferimbiss allein nicht satt werden würde, suchte er das Flussufer nach weiterer Nahrung ab. Und hinter der nächsten Biegung, an einem kleinen Zufluss, wurde er auch fündig.
Hier floss das Wasser träge und sammelte sich in flachen kalten Tümpelchen. An den Rändern des Brackwassers
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