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Sam & Emily: Kleine Geschichte vom Glück des Zufalls (German Edition)

Sam & Emily: Kleine Geschichte vom Glück des Zufalls (German Edition)

Titel: Sam & Emily: Kleine Geschichte vom Glück des Zufalls (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holly Goldberg Sloan
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plötzlich drehte und wendete sich die saugende Strömung schlangengleich in eine völlig andere Richtung. Eine neue Schubbewegung drückte die beiden empor und nur wenige Momente später wurden sie an die Wasseroberfläche gespien.
    Das rote Kajak erlitt ein böseres Schicksal. Es wurde auf einen schwarzen Felsen geschleudert und zerbrach dort, wie von einer Axt gespalten, in zwei Hälften. Die Hälften trudelten im Kreis herum, aber gleich darauf füllte sich das Vorderteil mit Wasser und ging unter. Das Heckteil trieb wie ein rasender Kreisel flussabwärts und verschwand aus dem Blickfeld.
    Und die beiden Jungen, die jetzt an die Oberfläche schossen, bemerkten schnell, dass es egal war, ob sie schwimmen konnten oder nicht. Weil es unmöglich war, in einer solchen Situation zu schwimmen. So blieb ihnen nichts übrig, als sich der eisigen Hand des Schicksals zu überlassen.
    Und an dieser Stelle riss es die beiden Brüder auseinander, damit sie ihrer jeweils eigenen Bestimmung folgten.
    Der letzte Satz von Riddle, an den sich Sam erinnerte, war »Meine Augen tun mir so weh«. Und das Letzte, was er selbst sich darauf sagen hörte, war »Vergiss dein blödes Auge einfach«.
    Als jetzt das schwarze Wasser in seine Nase eindrang und ihm die Luft aus seiner Lunge stieß, da hörte er sich den gleichen Satz noch einmal sagen.
    Vergiss dein blödes Auge einfach.
    Hier konnte nur ein Blinder richtig sehen.
    ***
    Täglich kommen Menschen in Flüssen um.
    Sie ertrinken, obwohl sie Schwimmwesten tragen und jahrelange Erfahrung mit dem Wasser haben. Sie ertrinken vor den Augen Schaulustiger, obwohl Boote um sie sind und sie sämtliche Erste-Hilfe-Maßnahmen aus dem Effeff beherrschen. Sie sterben, obwohl sie in puncto Wassersicherheit nicht fahrlässig gehandelt haben.
    Und andere, die alles, aber auch alles verkehrt machen, überleben.
    Sam und Riddle trieb es in entgegengesetzte Richtungen, rechts und links der Hauptströmung.
    Riddle hatte es auf die rechte Seite gerisssen. Halb bewusstlos trieb sein Körper, auf und nieder wippend, mit der Strömung. Lufttaschen blähten sein Hemd an den Schultern auf und verhinderten, dass sein Oberkörper unter Wasser sank. Kleiner und kompakter als sein hoch aufgeschossener Bruder trieb er mit der doppelten Geschwindigkeit dahin.
    Sam driftete wie ein Stück Treibgut linker Hand der Strömung. Die Stöcke und das Klebeband, die Riddle an seinem Rücken angebracht hatte, riss der Fluss mit sich, als wären sie aus Papier.
    Das strudelnde Wasser entfernte die beiden Jungen rasch vom Wasserfall. Ihre Körpertemperatur sank in dem eisigen Wasser schnell. Die Durchblutung wurde immer schwächer und in Sekundenschnelle waren selbst die einfachsten Bewegungen nicht mehr möglich.
    Alle Körperfunktionen ließen nach.
    Denn es war nicht etwa so, dass sie nicht schwimmen wollten. Und auch nicht, dass sie nicht versucht hätten, sich paddelnd zu bewegen. Der Körper ließ sich einfach nicht mehr dirigieren. Man hatte ihn in eisiges Wasser geworfen und seine Nervenenden signalisierten nur noch »Rückzug auf der ganzen Linie«.
    Und dann schlug Sam mit seinem Kopf auf etwas Hartem auf. Ein alter Baum am Ufer war während einer Überschwemmung umgefallen: Der Wasserpegel war gestiegen, die Böschung aufgeschwemmt. Die Wurzeln hatten nachgegeben und der Baum war umgeknickt.
    Der Baum lag mit der einen Hälfte auf dem Ufer und mit der anderen im Fluss. Sam öffnete die Hand rein instinktiv, nicht etwa zielbewusst, und griff nach einem der glitschigen Äste. Und plötzlich bot sich ihm wie aus dem Nichts ein Weg, an Land zu kommen.
    Minuten später lag er auf den schlammigen Felsen des Flussufers und spürte eine so tiefe Erleichterung, wie er sie nie zuvor erlebt hatte. Sie war vorbei, die Qual der ständigen Bewegung, der eisigen, sich unermüdlich drehenden Welt, die ihn hinunter in die Schwärze der Ewigkeit gezogen hatte.
    Und er gelobte sich, dass er, falls er denn überleben sollte, nie mehr ein Boot besteigen würde. Nie mehr, in seinem ganzen Leben nicht.
    Schon wenn er daran dachte, ging es ihm viel besser. Dann schaltete sein Geist, sein denkendes Bewusstsein ab.
    Er konnte einfach nicht mehr.
    Er schloss die Augen und gab dem ihn jetzt blendenden Licht und all der Leere dessen nach, das er erlebt hatte.
    Ich kann nicht mehr. Jetzt hörte er Riddles Stimme.
    Und seine Antwort war: »Ich auch nicht.«
    ***
    Riddle trieb an der Wasseroberfläche, aufgebläht von all der Luft, die sich unter

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