SAM
zurückschreckt.“
Ein Frösteln durchfährt mich. Ich starre aus dem Fenster und blicke auf die verschneite Landschaft der Highlands. Wenn es wirklich Balthasar ist und er die Macht hat, solche Vorstellungen in meinen Kopf zu projizieren, über eine so immense Entfernung hinweg, wozu ist er dann noch fähig? Ist er vielleicht sogar in der Lage mich zu manipulieren? Kann er mich veranlassen Dinge zu tun, die ich nicht tun möchte? Kann ich mich gegen ihn wehren? Wie groß ist sein Verlangen nach mir wirklich? Wenn er so dringend Erben braucht, hätte er mich nicht schon längst entführen lassen können? Wäre er nicht schon längst in der Lage gewesen mich zu sich zu holen? Was hindert ihn daran? Es gab genug Gelegenheiten, meine Begleiter aus dem Weg zu räumen und mich zu verschleppen. Ich starre weiter aus dem Auto und bin verwirrt.
„Sam, Balthasar kann dich nicht so einfach nehmen, sich deiner bemächtigen. Du bist nach allen Regeln unserer Rasse an Alexander gebunden. Sein Blut fließt in dir, du bist sozusagen…“, er zögert kurz, „…beseelt von ihm. Die Vorgehensweise von Balthasar ist eindeutig. Er versucht dich zu bekommen, um Alex zu ködern, damit er ihn dann töten kann. Oder aber er verschleppt Alexander, um dich zu ködern. Erst wenn Alexander tot ist, kann Balthasar dich zu seiner Braut machen.“ Ich bin schockiert über diese strategischen Ausführungen von Rhys, kann sie aber von der reinen Logik her durchaus nachvollziehen. Für eine gute halbe Stunde sagt keiner von uns ein Wort, jeder hängt seinen Gedanken nach.
„Rhys, kannst du bitte aufhören meine Gedanken zu lesen!“, spreche ich meinen Begleiter dann schließlich direkt an. Er schüttelt den Kopf. „Das ist nicht so einfach. Du bist wie ein offenes Buch für mich. Normalerweise erfordert es Konzentration und ein wenig Anstrengung, um die Gedanken anderer zu lesen. Dadurch das wir auf besondere Weise zueinander gehören, muss ich mich weder konzentrieren, noch mich anderweitig bemühen, dich zu lesen. Bei dir kostet es mehr Mühe mich aus deinen Gedanken herauszuhalten.“ Er sieht mich von der Seite an. Ich schaue schweigend aus dem Seitenfenster. Warum können die alle in meinem Kopf rummachen? So allmählich fühle ich mich entblößt und glaube keine Privatsphäre mehr zu haben, nicht mehr ich selbst sein zu dürfen.
„Aber ich werde mich bemühen, okay?“, antwortet er auf meine Frage und meine Gedanken. Am späten Nachmittag fahren wir endlich eine sehr schmale Straße hinauf auf einen Hügel. Hier befindet sich also diese sagenumwobene Abtei. Wir klettern aus unserem Range Rover und schon packt mich ein eisiger Wind. Die Dämmerung hat bereits eingesetzt und beim Anblick dieses alten, deutlich von den Spuren der Vergangenheit gezeichneten Gemäuers, beschleicht mich ein ungutes Gefühl. Habe ich in letzter Zeit dieses warme, sichere Gefühl bei einigen meiner Entscheidungen gespürt, dass sich wie ein Impuls aus der Mitte meines Körpers in mir verteilte, so ist dieses Gefühl, dass sich jetzt meiner bemächtigt, ein vollkommen ungewohntes und äußerst beängstigendes. Ich lausche in mich hinein. Keine Wärme, eher eine eiskalte, mich fast erdrückende Gewissheit, unumstößlich und absolut: Hier werden wir nicht nur die Schriften finden,…hier wird sich auch mein Schicksal erfüllen.
„Alles okay?“, fragt mich Rhys und sieht mich verwundert an. Ich nicke nur und folge ihm zum Tor der Abtei. Wir klingeln und nach einer halben Ewigkeit wird uns von einer alten Nonne in dicker, dunkelbrauner Kutte geöffnet.
„Was wollen Sie?“, fragt sie uns, mehr als unhöflich, unter der weit ins Gesicht gezogenen Kapuze heraus.
„Padre Del‘ Armand sagte uns, wir finden hier etwas, wonach unsere Art schon lange sucht“, antwortet Rhys gegen den zunehmenden Wind. Die Nonne bekreuzigt sich mehrmals hintereinander und murmelt ein Vater Unser. Schließlich öffnet sie aber das Tor und führt uns in die Kirche. Offensichtlich wird unsere Ankunft erwartet und man weiß, wer Rhys ist oder besser, was seine wahre Natur ist. Für mich ist es immer noch ein seltsames Gefühl in Begleitung eines unsterblichen Vampirs ein Gotteshaus zu betreten, daher kann ich das seltsame und überaus aufgeregte Verhalten der Alten gut verstehen. Kaum das Rhys einen Fuß auf die Schwelle der Tür zur Kirche setzt, bekreuzigt sie sich wieder mehrere Male und flüstert ein Ave Maria. In der Kirche ist es dunkel und auf mich wirkt sie düster,
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