SAM
Handgelenk. Schluck für Schluck rinnt mein Blut seine Kehle hinunter. Es muss ihn viel Kraft und nicht vorstellbare Beherrschung kosten, mich nicht gierig zu verschlingen. Es ist ein waghalsiges Unterfangen. Was ist, wenn er nicht aufhören kann, in einen Blutrausch verfällt? Alexander hat mich in Venedig fast getötet…! Aber mein Krieger hat sich unter Kontrolle. Noch bevor mir schwindelig wird oder ich ein Taubheitsgefühl in meinem Arm verspüre, lässt er von mir ab. Ich habe meinen Kopf an seine Schulter gelehnt und hebe ihn nun wieder an, um in Rhys Gesicht zu sehen. Er sieht etwas besser aus. Er ist immer noch blass, aber es scheint ihm deutlich besser zu gehen. Wir sehen uns tief in die Augen. Er verzieht den Mund zu einem dünnen Lächeln.
„Du schmeckst wundervoll, aber Alexanders Nachgeschmack ist bitter und verdirbt die Süße deines Blutes.“ Ich richte mich auf und sehe ihn an: Ich bereue nicht, ihm mein Blut geschenkt zu haben. Uns beide verbindet sehr viel. Er ist mein Beschützer und ich bin seine Hoffnung. Solange wir leben, werden wir füreinander da sein. Es ist ein stiller Schwur der uns verbindet. Und wir beide wissen in diesem Augenblick, dass niemals ein Wort über unsere Lippen kommen wird, über das, was eben geschehen ist. Wir haben die Alten Schriftrollen nicht bekommen. Aber wir wissen, dass unsere Reise hierher trotzdem nicht umsonst war.
Wir fliegen zurück nach Italien. Rhys Wunde will nicht richtig verheilen und so bitten wir Dr. Marco Armenti darum, sich der Versorgung der Wunde anzunehmen. Außerdem tut uns eine kleine Erholung gut. Denn auch an mir ist unser Ausflug nach Schottland nicht spurlos vorbei gegangen.
Das Grundstück der Di Camarossos wird strengstens bewacht, so dass ich mich relativ sicher fühle, dennoch stehe ich unter Anspannung und fühle mich erschöpft. Das sage ich auch Alexander, als wir miteinander telefonieren und ich kann ihm glaubhaft versichern, dass ich mich nur von den zuletzt in New York stattgefundenen Ereignissen und unserem kurzen Aufenthalt in England erholen möchte. Er stimmt mir zu und hat nichts dagegen, dass ich noch einige Tage in Italien bleibe. Dennoch vermisse ich ihn sehr und ich spüre genau, dass es ihm nicht anders geht. Ich denke sehr viel über das nach, was in Schottland geschehen ist. Traurigkeit packt mich. Ich werde sterben. Es ist ein seltsames Gefühl zu wissen, dass ich nur noch eine begrenzte Zeit zu leben habe. Der Tag, an dem ich mein sterbliches Leben verliere, steht fest. Wie lebt man mit der Gewissheit an seinem einunddreißigsten Geburtstag zu sterben? Wie wird Alexander darauf reagieren, wenn ich ihm sage, dass ich Lylha getroffen habe und welchen Pakt ich mit ihr geschlossen habe? Werde ich ihm überhaupt davon erzählen? Werden wir es wirklich schaffen Balthasar zu vernichten? Welches Wissen hat Lylha mir vererbt? Werde ich in den entscheidenden Momenten wissen, was zu tun ist? Rhys hat mir inzwischen erklärt, dass sein Angreifer mit einem Schwert gekämpft hat, dessen Klinge offensichtlich einen hohen Silberanteil beinhaltete und mit Zaubersprüchen belegt war. Das hat schließlich dazu geführt, dass seine Wunden nicht so schnell verheilen wie sonst. Mich schüttelt es immer noch, wenn mir solche Details erläutert werden, aber ich weiß auch, dass ich in diesem Kampf gegen Balthasar alles Wissen, das sich mir bietet, aufnehmen muss. Ich betrachte den Dolch, den mir Lylha gegeben hat. Rhys meint, die auf der Klinge und dem Griff befindlichen Runenzeichen hätte eine magische Bedeutung und nur deswegen wäre ich auch in der Lage gewesen, diesen anderen Vampir zu töten. Ich schüttle kaum merklich den Kopf. Magie, Zauber,…wie viel muss ich noch lernen? Welche Geheimnisse werden sich mir noch offenbaren? Gibt es tatsächlich noch andere Wesen als die Vampire? Ich werde das Gefühl nicht los, als wenn dies alles erst der Anfang ist. Das Übernatürliche existiert und warum sollte es nicht in einer ähnlichen Vielfalt ausgeprägt sein, wie alles andere, das auf Erden wandelt…?
„Sam, wie geht es dir? Rhys sagte, du hättest eine Magenverstimmung?“ Dr. Armenti reißt mich aus meinen trüben Gedanken und sieht mich besorgt an.
„Oh, es ist nichts weiter. Ich habe mich heute morgen übergeben. Aber das ist bestimmt nur die Umstellung. Ich brauche immer etwas länger, um mich wieder anzupassen“, entgegne ich mit einem Lächeln.
„Hast du etwas dagegen, wenn ich mir noch einmal
Weitere Kostenlose Bücher