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Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Politycki
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daraus, dem sie enorme Heilkraft zusprachen, manchmal gaben sie ihm dafür sogar Honig, Dosenfisch, Milchreis mit Zucker.
    Fast jeden Tag hörte man Schüsse, es fiel nicht sonderlich auf, wenn man sein Gewehr ausprobierte. Dachte Kaufner. Ansonsten dachte er immer weniger. Sein Haß auf die Berge wurde kleiner dabei, sein Haß auf die Bäche und Hängebrücken, den diffus trüben Himmel und den Staub, der die Nasenlöcher verkrustete und zum Niesen reizte, zum Husten. Schließlich auch sein Haß auf sich selber, sofern ihm der Stiefel über einen Stein rutschte oder daran hängenblieb oder der Fuß umknickte, weil er die Schritte gegen Ende des Tages nicht mehr kontrolliert setzen konnte.
    Immer selbstverständlicher bewegte er sich durch die Tage. Gegen fünf, sobald die Berge zu leuchten begannen, die Kuppen der Hänge goldgrün gewellt bis zum Horizont, suchte er einen geeigneten Lagerplatz. Je länger er dann den aufziehenden Nachthimmel betrachtete, sonnverbrannt müde, desto mehr Sterne sah er. So mußt du in die Felshänge und Bachbetten blicken, dachte er: so lange, bis du jeden Stein gesehen hast, jeden. Erst wenn dir die kleinen Schritte nicht mehr mißlingen, kann dir der große glücken.
    Wie viele Nächte hatte er schon draußen verbracht, auf das Rauschen des nahen Baches lauschend, das Knacken im Inneren des Berges, den Gesang der Esel im Tal! Wie viele Sonnenaufgänge hatte er bereits erlebt von wie vielen Bergspitzen aus! Wie sie sich mit dem immergleich großen Versprechen hinterm Horizont wichtig taten, und dann war es doch nur ein neuer Tag, den sie brachten. Immerhin liefen sie alle auf den einen Tag hinaus, der da kommen mußte.
    Fast jeden Fleck des Hochplateaus hatte er inzwischen kennengelernt und mit einem Namen belebt, je nachdem, was er dort erlebt oder sich ausgemalt hatte: der
Kirgisenkamm
, die
Freien Festen
, der
Linkstalsee
, die
Seidenstraße
, der
Wildschweinwald
, die
Goldene Sichel
. Er war dabei so karg und herb geworden wie die Landschaft, die er durchstrich, sein Gepäck immer leichter, je mehr er von seiner Ausrüstung an die Bauern verkaufte. Schließlich ging er, ohne es bewußt zu tun, sah den Weg und den Berg und jedes Detail darauf, ohne es wirklich wahrzunehmen – ein nicht mehr sonderlich hungriges Tier auf beiläufiger Suche nach Beute. Die Gefahr, auf diese Weise zu verlottern, war fast noch größer als damals auf dem Teebett im Garten.
    Wenn er innehielt, um sich an die Stirn zu schlagen, konnte er fast glauben, das
Tal, in dem nichts ist
gebe es gar nicht mehr. Kaufner hatte das Gefühl, überall gewesen zu sein – außer in Samarkand. Bislang hatte er einen Bogen darum gemacht, höchste Zeit, zu erkennen, daß kein Weg für ihn daran vorbeiführte. Daß es jetzt wirklich ernst werden mußte, es war ja schon Mitte Juli.
    Samarkand zu finden war nach den diversen Hinweisen der Kirgisen nicht schwer; es zu betreten war eine andere Sache. Es lag in einer Senke am Westabbruch des Turkestanrückens, mit Blick auf die usbekische Ebene und die Stadt gleichen Namens. Der relativ stark frequentierte Weg, den Kaufner Seidenstraße getauft hatte, führte knapp daran vorbei. Ein Pfad, der von der Seidenstraße abbog, am helleren Staub zu erkennen, mündete in einen schmalen Durchbruch im Westkamm; er lag so versteckt, daß man ohne die Hinweise der Kirgisen ein Leben lang daran vorbeigelaufen wäre. Kaufner zog es vor, in einigem Abstand davon erst einmal den Kamm zu erklimmen, um sich ein Bild von dem zu machen, was ihn erwartete.
    Zunächst sah man vor lauter Staub kaum etwas. Ein warmer Wind wirbelte ihn so auf, daß man die Augen ständig zusammenkneifen mußte. Der Himmel wie Milchglas, die Sonne dahinter. Als die Dämmerung einsetzte, flaute der Wind ab, die Sicht wurde klarer. Nach Sonnenuntergang kam die Kälte. Selbst in der Dunkelheit erkannte man noch die weiß schäumende Schlangenlinie eines Baches, daneben jede Menge Baracken, eine doppelte Reihe an Containern. Sie heizten ihre Herde und Öfen mit getrocknetem Kuhdung, man roch es. Bis tief in die Nacht brannte ein Feuer, man konnte sich einbilden, trunknes Gegröl zu hören, Getrommel, Gesang.
    Kaufner belauerte Samarkand ein paar Tage und Nächte, um sich ein Bild darüber zu machen, wer den Weg dorthin suchte, mit und ohne Packesel, und wie man ihn aufnahm. Es herrschte ein überraschend reges Kommen und Gehen, man konnte sich ausmalen, es seien nichts als ganz normale Händler, die ihre Waren brachten;

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