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Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Politycki
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einmal sah es so aus, als würde ein regelrechter Markt zwischen den Containern abgehalten. Andere wirkten eher wie … Patrouillen der
Faust Gottes
? Um Genaues zu erkennen, war Kaufner trotz Zielfernrohr nicht nah genug dran. Wenn er in der Mittagshitze lagerte und den Adlern beim Kreisen zusah, kam er sich wichtig und abgebrüht vor wie einer, der sich auf einer entscheidenden Mission befand. Es war so still, alles in der Senke schien zu schlafen, selbst Hunde und Ziegen, daß man die Generatoren bis hoch zu ihm hörte. Es war so heiß, daß die Abhänge kokelten, schwelten, rauchten. Die Luft über der usbekischen Ebene zitterte, dort riß bestimmt die Erde auf, brannte das Buschwerk. Sofern der Wind einmal aussetzte, spürte man das Brennen der Sonne auf der Haut. Manchmal flogen Drohnen hoch oben, das letzte Lebenszeichen des Westens, keiner traute sich mehr hinein in diese Berge, keiner außer … Alexander Kaufner. War es nicht so? Es war so.
    Überstürzen durfte er’s jedoch nicht. Gewiß, er hatte etwas gutzumachen, er wollte einen Charakter erwerben, zumindest eine späte Rechtfertigung für alles, was er nun bald neunundfünfzig Jahre lang nicht getan. Erst das Ende rechtfertig das Ganze, summte er sich Mut zu. Aber heute noch nicht. Du bist einer von denen, die für den rechten Glauben kämpfen. Nicht etwa für den christlichen, nein! Sondern für den an Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, so hatte es zumindest sein Führungsoffizier formuliert, und für all das andere, was den Freien Westen während Kaufners Jugend so sehr hatte funkeln und leuchten lassen. Kaufner, der Glaubenskrieger. Nicht zuletzt auch für das Recht auf ein Leben ohne Glauben. Ja, sicherte er sich zu, für
diesen
Glauben muß jetzt getan werden, was getan werden muß. Morgen.
    Wenn die Sonne sank, manchmal ein dünner orangefarbener Faden als Horizont, darüber mattgrau der auffunkelnde Nachthimmel. Manchmal Blitze aus einer dunklen Wolke, umgeben von letzten Lichtbündeln am hellblau leuchtenden Himmel. War’s nicht seltsam, daß die
Faust Gottes
einem Grab so großen Symbolwert zusprach? Daß ihr Siegeszug von der Vorstellung beflügelt wurde, der Geist ihres größten Feldherrn lebe weiter und kämpfe mit ihnen, solange seine Knochen irgendwo gehütet wurden? Vor allem auch seine Grabbeigaben. Darunter … eine annähernd faustgroße Marmorkugel, die Timur bei seinen Feldzügen mit sich geführt. In der noch heute, so der Mythos, all seine Kraft konzentriert war. Eine Marmorkugel, auf der in winziger Schrift die Suren des Korans geschrieben waren. Natürlich mit Blut getränkt, die Kugel. Bestimmt nichts als Legende, eine unfromme Erfindung. Pardon, so müssen wir es wohl nennen.
    Für uns, die wir nicht daran glauben, ist es lediglich ein Stück Marmor. Falls du es zerstörst, wird die Wirkung auf die
Faust Gottes
verheerend sein, du triffst sie an der innersten Stelle, dort, wo das Irrationale sitzt. Anders ist der Krieg nicht mehr zu gewinnen. Indem du findest und zerstörst, wirst du der Welt den Frieden bringen, steh endlich auf und geh den Weg.
    So reimte’s sich Kaufner zurecht. Im übrigen war er ja nicht hierhergekommen, um die Hintergründe des Krieges zu durchschauen, sondern um ihn zu entscheiden. Vielleicht bekam er während dieser Tage ein bißchen viel Sonne ab, vielleicht war er drauf und dran, erleuchtet und verrückt zu werden. Jeden Abend sah er zu, wie man am Rand der Barackensiedlung ein Feuer entfachte, wie man trank und Krawall machte, als sei bereits wieder ein Mittelalter angebrochen. Andererseits hörte er auch Schüsse, natürlich. Kaufner wußte, daß es einen Herrscher über die Baracken gab, der sich »Sultan« nennen ließ, genau genommen »Sultan des Westens«, und mit einer Handbewegung über Leben und Tod entscheiden konnte, hier wie im gesamten Hochplateau. Er lebe in einem Leib ganz ohne Knochen, hatten die Kirgisen versichert, was immer das bedeutete. Einer seiner Gefangenen diene ihm als Schemel, den er benütze, wenn er sich auf den Thron begebe. Obendrein stehe er mit einem Schamanen im Bunde, der mit ihm nach Belieben ins Paradies fliege oder sich in Tier- und Menschengestalt verwandle, die Kirgisen redeten von ihm wie vom Scheitan persönlich.
    Und Samarkand? Ob die Siedlung so etwas war wie ein Gefechtsstand der
Faust Gottes
? Für die Kirgisen war es nichts weiter als ein Unterschlupf für Gesetzlose aller Art. Es bedurfte eines Gewitters, um Kaufner aus seiner Unschlüssigkeit

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