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Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Politycki
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Nächtelang lag er wach, das Gewehr unter der Bettdecke.
    Nie passierte etwas, nie. Langsam begriff er, daß die Rechnungen im Gebirge anders beglichen wurden. Ein Gast war in Sicherheit, selbst bei der
Faust Gottes
, er konnte gar nicht sicherer sein als in ihren Hochburgen. So es denn überhaupt welche waren. Kaum vorstellbar, daß diese Menschen nachts ins Tal gestiegen sein sollten, um auf Menschenjagd zu gehen. Sprach man sie vorsichtig darauf an, beschwerten sie sich über die Gerüchte, die »da unten« über sie in Umlauf gesetzt würden. In Wahrheit hätten die Usbeken ihre Häuser selber angezündet, um einen Vorwand zu haben … Die einzigen Feinde der Tadschiken seien seit je die Wölfe: Sie sprängen noch über drei Meter hohe Zäune, im Winter müßten die Pferche der Schafherden zusätzlich mit Netzen abgesichert werden. Trotzdem werde man ihrer nicht Herr, im Blutrausch rissen sie bis zu hundert Tiere, stapelten sie regelrecht übereinander. Wölfe galten als »Könige der Berge«, von ihnen zu träumen als ein gutes Zeichen. Ihnen am Morgen zu begegnen ebenfalls. Nicht jedoch am Abend, ein böses Omen. So verschlossen sich die Dörfler gaben, wenn man sie draußen ansprach, so redselig wurden sie ganz von alleine, sobald man bei ihnen zu Hause saß und sich die entscheidenden Fragen erst mal verkniff. Sofern Kaufner dann auch noch seinen Wolfszahn zeigte, nickte man, der wolle Blut schmecken.
    Der
werde
Blut schmecken, dachte Kaufner und tunkte das alte Brot in den Tee, damit es weich wurde. Nein, von einem Januzak hatte man angeblich nie gehört; mit den Kirgisen, die im Norden ihre Zelte aufgeschlagen hatten, wollte man sowieso nichts zu tun haben. Die gehörten nicht hierher, die kämen aus dem Nichts, die verschwänden auch wieder im Nichts, von ihrer Sorte gebe’s sowieso zu viele. Erst recht nichts zu tun haben wollte man mit Timur, der habe Unheil übers Volk der Tadschiken gebracht, schon damals. Ohne ihn wäre heute kein einziger Usbeke in diesem schönen Land, keiner! Gott sei Dank lebe man wenigstens hier oben noch ohne sie und in Frieden.
    Kaufner verstand. Timur war der usbekische Nationalheld; ein tadschikischer Bergbauer war selbstverständlich nicht daran interessiert, sein Grab zu schützen. Seit Jahrhunderten waren sie ihre eigenen Herren und wollten es bleiben. Hatten also wohl tatsächlich nichts mit der
Faust Gottes
zu tun oder bloß gezwungenermaßen. Fortan schlief Kaufner bei den Bauern ohne Gewehr unter der Decke.
    Daß der Frieden, der bei ihnen herrschte, dennoch keiner war, wurde ihm eines Abends herb ins Bewußtsein gerückt, als er ein vollkommen menschenleeres Dorf betrat. Die Türen der Häuser waren überall offen, nirgendwo sah man Verwüstungen oder sonst irgend Spuren eines Kampfes, es mußte alles ganz schnell gegangen sein. Nicht einmal Leichen lagen herum.

    Ähnlich barsch und harsch ging es im Inneren der Hochebene zu, in den kleinen Trutzburgen der Schäfer. Allesamt waren sie bärtige Gesellen oder sehr bärtige Gesellen, es gab buntbetuchte Frauen, die wortlos verschwanden, wenn Kaufner um ein Nachtlager bat, viele Kinder mit ernsten Gesichtern, die in seiner Gegenwart kaum zu tuscheln wagten, Hunde, die leise und wichtig waren. Meist gewährte der Familienälteste das Gastrecht, in ein angeregtes Geplauder geriet man mit ihnen nie.
    Bei den Kirgisen hingegen freute man sich über Besuch. Es waren Flüchtlinge, sie hatten nicht nur ihre Yaks mitgebracht, sondern auch Dieselgeneratoren und Satellitenschüsseln, um wenigstens Nachrichten aus ihrer Heimat zu empfangen. Nein, die Republik Kirgistan existiere nicht mehr, sie habe Antrag auf Aufnahme in die russische Föderation gestellt, der Antrag sei angenommen worden. Kaufners Gastgeber lachten, um nicht zu weinen. Nun ja, Deutschland gebe es ja ebensowenig noch, man könne nur gemeinsam darauf anstoßen, zum Wohl.
    Die Kirgisen gehörten tatsächlich nicht hierher, und sie wollten auch nicht bleiben. Aber wo sollten sie hin? Die Sommerweiden waren fett, im Herbst würden sie sich etwas einfallen lassen müssen. Nein, der Friedhof sei vom letzten Krieg, Kirgisen seien seit Dschingis Khan auf der Flucht – sein angestammtes Grasland verlasse auch ein Nomade nicht freiwillig! Sie schenkten nach, um nicht zu weinen. Die Tadschiken vom anderen Ende der Hochebene mochten sie allerdings auch nicht besonders, die würden sich mit ihren runden Augen für etwas Besseres halten. Obwohl natürlich ab und zu ein

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