Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)
brachte rosa gefüllte Biskuitstangen, bunt eingewickelte Schokolade und Tee.
»Ich zahle mit meinem Goldzahn«, erhob sich Kaufner schließlich. Der Schamane strahlte, empfahl ihm, die nächsten Tage ein Kissen auf das vertretene Knie zu legen, um es zu wärmen. Dann verstopfte er wieder beide Ohren mit den Ohrläppchen, überprüfte den korrekten Sitz derselben durch kurzes Antippen mit den Zeigefingerspitzen, verschwand in sich selbst. Kaufner beschloß, das Spiel mitzuspielen, und mimte freudiges Erstaunen, als er die ersten Schritte setzte. Er war geheilt. Die Jungs applaudierten. Ihre Heiterkeit konnte indessen jeden Moment ins Gegenteil umschlagen, das spürte man, es lag eine Spannung in der Luft, eine herzlose Aufmerksamkeit.
Ob Kaufner bleiben, ob er bei ihnen »anfangen« wolle?
Das wisse er noch nicht so recht.
Oh, es sei prächtig hier, der Sultan sorge für alles, man lebe wie im Paradies.
Bei Erwähnung des Sultans fiel es einigen der Jungs wieder ein, es war höchste Zeit, ernst zu werden, Ernst zu machen. Kaufner mußte sein G 3 abgeben; weil er nicht sofort reagierte, richteten einige ihre Waffen auf ihn, stupsten ihn mit den Mündungen der Gewehrläufe in die Seite. Man führte ihn zur äußersten Jurte, der Sultan solle über Kaufners Verbleib entscheiden, über sein weiteres Schicksal, weiteres Leben.
Zum Glück hatte er heute auch noch Zeit dafür. Eigentlich sei er mit einer Delegation beschäftigt, die irgendein Gebirgs-»Khan« geschickt hatte, ihm zu huldigen. So in etwa erklärten es die Wächter, während Kaufner vor der Jurte wartete. Sie filzten ihn gründlich, nahmen ihm nebenbei ein bißchen Geld ab, nicht allzuviel, so daß es als angemessen gelten konnte. Sie waren deutlich älter und Kirgisen, trugen ihre hohen bestickten Hüte und knielangen Mäntel mit Würde, wie man es von ihnen kannte. Ihre ledernen Schnürstiefel hatten Sohlen aus abgefahrenen Autoreifen. Aber das machte die Wächter in Kaufners Augen nicht harmloser, davon ließ er sich nicht täuschen.
Die Jurte war um einen Baumstamm herum aufgestellt, der Wipfel ragte ein Stück darüber hinaus. Abgesehen von den Schmelzwassersenken gab es so selten Bäume in diesen Bergen, daß man sie gern zum Anlaß nahm, das eigene Haus darum herumzubauen, eine der dicken Wurzeln als Türschwelle wählend. Seinen ersten Fauxpas beging Kaufner, indem er beim Eintreten auf die Wurzel kam; den zweiten, indem er lediglich stolperte, statt sofort auf die Knie zu fallen. Drinnen herrschten deutlich andere Sitten als draußen; was wie eine ganz normale Jurte ausgesehen hatte, war ein herrschaftlich mit Teppichen ausgelegtes und mit Seidenstoffen an den Wänden geschmücktes Prunkzelt.
Auch die Delegation wartete schon. Ein Diener reichte Granatapfelsaft und grüne kirschgroße Früchte, die extrem sauer schmeckten. Endlich kam er selbst, der Sultan des Westens, und mit ihm sein Gefolge: ein kleiner weißhaariger Kirgise im hellen Seidengewand, sparsam mit Goldfäden durchwirkt, die Enden seines Schnurrbarts fielen bis zum Kinn herab, sein Spitzbart war zu einem kleinen Zöpfchen geflochten. Kaufner durchzuckte es siedend heiß. Der Sultan hinkte stark, mußte von beiden Seiten gestützt werden. Als man ihn vor seinem Thron abgesetzt und die Beine zum Schneidersitz gefaltet hatte, anscheinend war sein rechter Arm gelähmt, sah man den Rubin, der ihm von der Spitze seines weißen Tatarenhuts leuchtete.
Kaufner wollte schier verrückt werden. Sollte er aufspringen und ihm mit einem Schrei an die Gurgel gehen? Nein, er sollte ruhig sitzen bleiben und seinen Auftrag erfüllen. Auch wenn es ganz eindeutig Januzak war, der dort thronte und sich der Delegation zuwandte, um deren Friedensbitte entgegenzunehmen.
Bevor die Gesandtschaft den Brief ihres Herrn zum Vortrag brachte, mußte ein Schemel aufgestellt werden; jedes Mal, wenn der Name des »Khans« genannt wurde, verbeugten sich die Gesandten vor dem leeren Sitz, warfen sich nieder, küßten den Staub, priesen sein Geschlecht von den Urahnen bis zu den ungeborenen Urenkeln. Als Geschenke übergaben sie eine Schüssel mit Geldbündeln (diverse Währungen) und drei Mädchen, die mit einer Handbewegung des Sultans sofort zum Verschwinden gebracht wurden. Dann mußten die Gesandten für ihren Herrn schwören, nie wieder den Kopf aus dem Halsband des Gehorsams zu ziehen, nie wieder einen Fußbreit vom Weg der Gefolgschaft abzuweichen. Nachdem sie versichert hatten, daß fortan auch bei ihnen
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