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Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Politycki
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Händler vorbeikomme, um sie übers Ohr zu hauen. Noch schlimmer seien bloß die Usbeken.
    Usbeken? Hier oben?
    Doch, ja, gelegentlich.
    Kaufner spürte, wie ihm das Blut in den Schläfen pochte. Wenn sich auf tadschikischem Territorium Usbeken herumtrieben, konnte das nur eines bedeuten: Er war wirklich nah dran. Oder welchen Grund sonst hätte ein Usbeke haben können, sich mitten im Feindesland aufzuhalten?
    Die Männer trugen selbst in ihren Jurten die hohen weißen Kirgisenhüte, ihre dünn hängenden Schnurr- und Spitzbärte waren schon bei den Jüngeren zur Hälfte weiß. Einer hatte sogar einen geflochtenen Kinnbart wie Januzak, war aber der Gutmütigste von allen. Kirgisen. Ausgerechnet. Kaufner hatte große grausame Pläne –
danach
oder allenfalls
en passant
, gewiß. Vergessen waren sie auch unter seinen Gastgebern nicht. Sie tranken gern vergorene Stutenmilch, die in offenen Ledertaschen am Zeltgestänge aufbewahrt wurde, es schwammen Fliegen und schwarze Haare darin, mitunter spuckte einer im Vorbeigehen hinein. Es kostete Kaufner einige Überwindung, mit ihnen mitzuhalten, aber auf diese Weise erfuhr er, daß es tatsächlich irgendwo ein paar Baracken namens Samarkand gab. Ein Unterschlupf für alle, die auf der Flucht waren oder untertauchen mußten. Von derartigen Siedlungen gebe’s einige, natürlich auch in anderen Gebirgszügen: Damaskus, Schiraz, Kairo … Je klingender der Name, desto erbärmlicher das Kaff. Ob Kaufner als Deutscher nicht ebenfalls Flüchtling sei? Oder seine Kollegen, die gelegentlich vorbeischauten?
    Kollegen? Hier oben?
    Doch, ja.
    Erst spät merkte Kaufner, daß er nach seinem Wolfszahn gegriffen hatte, daß er sich nach wie vor daran festhielt. Nicht etwa, weil er sich vor den anderen Paßgängern fürchtete. Sondern weil er keinen einzigen von ihnen je zu Gesicht bekommen, sie mußten allesamt weit erfahrener als er sein, um sich derart unsichtbar durch die Berge zu bewegen. Und hatten ihn gewiß das eine oder andere Mal schon im Visier gehabt, um ihn … fürs erste ziehen zu lassen, warum auch immer. So dachte Kaufner in diesen Sekunden nicht etwa (das tat er erst später), sondern fühlte es, ein heißkaltes Erkennen, wie knapp er die letzten Wochen davon- und vorangekommen war. Während er die Hand langsam löste, lachte niemand. Die Kirgisen waren damit beschäftigt, nicht zu weinen.
    Trotzdem war die gefährlichste Begegnung, die er in all den Wochen zu bestehen hatte, diejenige mit einem Trupp Wildschweine. Seitdem suchte er sich einen kräftigen Ast, sobald er in eines der Gehölze rund um die Seen eindrang, entrindete ihn, wie es Odina getan. Und behielt ihn als Wanderstab immer öfter auch im baumlosen Gelände, drehte damit im Vorbeigehen die Kuhfladen um, damit sie schneller trockneten. Wie es Odina getan.
    Trotzdem dachte Kaufner über die anderen Paßgänger erstaunlich wenig nach. Was hätte es da zu denken gegeben, wo man auch weiterhin keinen von ihnen sah, selbst wenn man stundenlang auf einem Gipfel verharrte, von dem man den perfekten Rundumblick hatte? Nicht mal über Januzak dachte er nach. Abgesehen davon, daß er mit ihm noch eine Rechnung zu begleichen hatte, gab es nichts zu bedenken. Man mußte für den Moment gerüstet sein; man mußte sich klarmachen, immer wieder aufs Neue klarmachen, was dann zu tun war. Mehr nicht.
    Um sich für ebenjene Sekunde der Wahrheit zu rüsten, riß Kaufner das G 3 von der Schulter, sobald er ein Murmeltier sah. Er achtete darauf, sie sauber zu erledigen; ein angeschossenes Tier, das sich in seinen Bau hatte retten können, ließ ihm keine Ruhe. Du mußt den Kolben tiefer in die Schulter drücken, du mußt vor dem Schuß einatmen, haderte er mit sich, du mußt im Ausatmen abdrücken, wie du’s gelernt. Bald bemerkte er, daß ihm Shochis Taschentuch gute Dienste tat, er konnte sich den Schweiß aus den Augenbrauen wischen, bevor er die Waffe entsicherte. Auch wenn er gar nicht schwitzte, das kleine Ritual beruhigte in jedem Fall. Wenn er dann anlegte, verwandelte sich das Murmeltier vor seinem Auge in den Kirgisen, erst wenn er Januzak tatsächlich im Fadenkreuz sah, drückte er ab. Drückte ganz weich ab, ohne zu verreißen. Je weniger er sich auf den Schuß konzentrierte, desto besser konnte er den Rückstoß abfedern, nach einigen Wochen tötete er sicher und gedankenlos. Manchmal tauschte er ein Murmeltier gegen Eier, Nüsse, Dörrobst, was immer die Bauern gerade anzubieten hatten. Sie gewannen ein Fett

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