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Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Politycki
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das Freitagsgebet mit den großherrlichen Titeln des Sultans geschmückt werde, durften sie sich, mit Ehrengewändern bekleidet, zurückziehen.
    Es war Januzak. Und war es nicht. Ein Krüppel, der sich nicht einmal alleine auf den Beinen zu halten vermochte, er konnte es doch nie und nimmer sein?
    »Wie geht es meinem Sohn, dem Wanderer vom andern Ende der Welt?« wandte er sich nun an Kaufner, eine wohlwollende Anrede, gleichwohl die Machtverhältnisse dezent klärend. Kaufner wurde mit der Gnade des Teppichkusses beglückt, durfte sich auf Knien nähern. Der Sultan winkte ihn mit der gesunden Linken näher – noch näher – unangenehm nah heran und fixierte ihn von oben. Ein braun zerfurchtes Gesicht, darin zwei schwarze Augäpfel, beständig ruckend. Mit der Zeit verfestigten sie sich zu einem leblosen Blick aus lidlos geschlitzten Augen, so vollkommen leer wie der eines Menschen, der allzuviel gesehen hatte, um an einem Kaufner noch Bedeutendes entdecken zu können. Kaufner schlug den Blick zu Boden.
    Er war es. Und saß doch, ein Krüppel, vor seinem Sohn, nicht einmal eine Frau hätte er aus eigner Kraft zum Speichellecken in seine Hand hinabzwingen können. Mit keiner Regung verriet er, ob er Kaufner erkannte.
    Warum sein Sohn den weiten Weg hierher auf sich genommen habe? Warum er sich so lange Zeit gelassen, ihm seine Aufwartung zu machen? Ob er wisse, mit wem er’s zu tun habe?
    Kaufner war es gewohnt, von Dorfältesten und Kriegsherren aller Art ausgefragt zu werden. Stellte man es richtig an, gewann man ihre Hilfe, nur so kam man in den Bergen voran.
    Er habe von ihm gehört, versuchte er auch diesmal, sich möglichst harmlos zu geben: Aber er sei sich nicht sicher. Ob er der Zeltmacher sei?
    Der Kirgise lächelte kurz. Die Tadschiken würden ihn so nennen, jawohl. Bei anderen heiße er anders. Der gesamte Turkestanrücken gehöre ihm, bis hinunter zum Zaun. Ob seinem Sohn das klar sei?
    Es sei ihm nicht klar gewesen, nun allerdings sehr wohl.
    Ob er für den Westen arbeite?
    »Es gibt keinen Westen mehr«, wich Kaufner aus, »jedenfalls aus der Sicht eines Deutschen«.
    Der Sultan blickte ihn voller Mitleid und Verachtung an: »Ein Mensch ohne Zukunft ist nur noch ein Tier. Ein Volk ohne Zukunft ist eine Herde, die sich von jedem Hund hetzen und von jedem Mann mit einem Messer schlachten läßt.«
    Was auch immer er im Lauf seines Lebens gesehen, es hatte sein Gesicht hart und faltig gemacht. Wenn er nicht gerade lächelte, konnte man erschrecken vor der kalten Grausamkeit, die daraus sprach. Nach wie vor fixierte er Kaufner mit einer Gleichgültigkeit, als sähe er ihn das erste Mal:
    Sein Sohn sei, dem Anschein nach zu urteilen, nicht unbedingt nur zum Heilkräuter-Sammeln gekommen. Ob er bleiben wolle? Oder ins
Tal, in dem nichts ist
?
    Kaufner pochte das Blut in den Schläfen, er tat so, als ob er davon noch nie gehört hätte, fing sich einen Blick des Sultans ein. Nein, stotterte er schließlich, er suche das Mausoleum.
    »Allein wirst du weder das eine noch das andere finden. Und herunter vom Berg erst recht nicht, das hat bislang keiner von euch geschafft. Lebend.«
    Nicht einmal jetzt zeigte das Gesicht des Kirgisen irgendeine Regung: Er kenne ihn und seinesgleichen, im Prinzip sei’s ihm egal, was Kaufner hier oben suche. Vorausgesetzt, er halte sich dabei ans Gesetz.
    Ans Gesetz der Berge?
    »Ans Gesetz
dieses
Bergs, mein Sohn.« Und nach einer rhetorischen Pause: »Wenn ich dir den Weg weise, dann wettest du mit mir um dein Leben.« Wenn nicht, sei’s sowieso schon so gut wie verwirkt.
    Er hatte Kaufner eine ganze Weile im Ungewissen gehalten, nun erst die Maske fallenlassen. Kaufner war durchschaut, er mußte gleichfalls Farbe bekennen:
    Ob ihm der Sultan den Weg etwa zeigen wolle, um ihn aus dem Weg räumen zu lassen?
    Sofern er das vorgehabt hätte, wäre dazu in den letzten Wochen reichlich Gelegenheit gewesen. Der Kirgise hatte auch die Stimme Januzaks, gerade wenn er etwas schärfer wurde: Nein, er wolle seinem Sohn helfen. Der müsse es ihn nur wissen lassen. Und solle ihn nicht für dumm verkaufen.
    Er mußte sich seiner Sache sehr sicher sein, warum sonst hätte er so offen darüber gesprochen? Sehr sicher, daß ein Kaufner keinerlei Gefahr für ihn darstellte. Oder … es war seine Sache gar nicht. Was hatten die Kirgisen schon mit Timur gemein? War es vorstellbar, daß der Sultan für die
Faust Gottes
arbeitete? Aus Überzeugung oder wenigstens als deren Söldner? Es war nicht

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