Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)
Meldung über dies und jenes machte, es war nicht zu durchschauen. Du mußt es aber durchschauen! Wenn du es hier nicht begreifst, woher willst du draußen dann wissen, wie sie drauf sind und wie sie also vorgehen? Vielleicht blieb Kaufner deshalb so lang, weil er ahnte, daß die Gastfreundschaft des Sultans bereits an den Grenzen seiner Hauptstadt endete. Weil er sich ausrechnen konnte, daß die Jungs auch gern auf Paßgänger schossen – bewegte Ziele, wo ist das Problem, Opa? Ganz ruhig.
Einmal in der Woche war Markttag, und ein Mal sollte ihn Kaufner miterleben. Aus dem gesamten Hochplateau (»von allen Enden des Reiches«) strömten Bauern und Händler herbei, um in den Containern oder dazwischen ihre Geschäftigkeit zu entfalten. Manche davon erkannte Kaufner wieder, auch den Barbier, bei dem er sich vor Wochen hatte rasieren lassen, den einen oder anderen Schäfer, bei dem er genächtigt, sogar den Pferdegeigenspieler, der in den Jurten am
Kirgisenkamm
aufgespielt hatte.
Geblök, Gemecker, Gebell, Geschrei. Einige der Tiere, die man herbeigetrieben, wurden unmittelbar nach dem Verkauf geschlachtet. Beim Barbier standen die Jungs Schlange, aus einem anderen Container drang Musik. Darinnen eine Teestube, die zugleich Eros- und Shisha-Bar war, als befände man sich im
Randevu
oder sonst einer Tanz- und Tätschelstube, wie sie Kaufner aus den Städten der Ebene kannte. Im ersten Moment verwunderte’s ihn, daß die Russinnen überhaupt den Weg hierher … und dann wunderte ihn auch das nicht mehr. Zu kaufen gab es nicht etwa nur das gängige Sortiment an Seife, Wodka, Plastikeimern und was sonst auf den Dörfern gebraucht wurde, sondern vor allem Sonnenbrillen, Designerturnschuhe, NATO -Tarnanzüge. Ein junger Mann mit Turban bot Schlangenfett und indische Wundheilsalben an. Ein anderer Drogen in gepreßter, pulverisierter und Tablettenform. Ein dritter Munition.
Ob nun unbedingt jeder freiwillig nach Samarkand kam oder auf Geheiß des Sultans, am Markttag war zu sehen, wovon sie in diesem Gebirge wirklich lebten. Die Jungs feilschten nicht lange herum und zahlten mit Som, Dollars, chinesischen Yuan oder russischen Rubeln; die Einheimischen hatten große Taschenrechner dabei und nahmen alles. Zählten sie Geld, taten sie es mit derselben speziellen Fingertechnik, die Kaufner aus Usbekistan kannte, sie drückten das Geldbündel über den Mittelfinger und zählten die Scheinoberhälften von hinten nach vorne durch, es ging rasend schnell.
Natürlich auch an diesem Tag plötzlich Geschrei, Randale. Ein dürrer barfüßiger Kerl rannte durch die Menge, verfolgt von zwei der Jungs, die ihn lauthals des Diebstahls bezichtigten. Kaum hatten sie ihn erwischt, drehte ihm der eine den Arm auf den Rücken, der andere trat ihm ins Gesicht. Alle glotzten, der Dieb beteuerte seine Unschuld, nun bezichtigte man ihn des Betrugs, immer mehr Zuschauer mischten sich ein, durchaus handgreiflich. Im allgemeinen Gewoge gelang es dem Kerl kurzzeitig, sich loszureißen, was er mit erneuten Schlägen und Tritten bezahlen mußte. Die anderen Händler wollten ihn plötzlich noch nie gesehen haben – nein, der gehöre nicht hierher, so einer wie er komme aus dem Nichts, verschwinde auch wieder im Nichts, von seiner Sorte gebe’s sowieso zu viele. Schließlich leerte man ihm die Taschen und sperrte ihn in einen Käfig; bis der Sultan über ihn entschieden haben würde, durfte ihn jeder necken und quälen, wie er wollte.
Schon im Gedränge des Marktes hatte der Mann mit dem Turban öfters Anstalten gemacht, Kaufner an seinen Stand heranzuwinken; im Tumult um den vermeintlichen Dieb hatte er ihn sogar am Hemd gezogen und bedeutungsvoll mit den Augen gerollt. Auch als Kaufner nun im Schaschlikcontainer saß – an einem Augusttag wie diesem war’s arg stickig drinnen; andrerseits hatte man seine Ruhe; durchs Fenster ließ sich das Treiben rund um den Grill bequem verfolgen –, kam er ihm nach. Setzte sich ungebeten an seinen Tisch und, anstatt ihn zu begrüßen, blickte erneut bedeutungsvoll:
»Herr Alexander, das Schaschlik hier ist vielleicht sogar noch besser als in … Samarkand.«
Woher kannte er Kaufners Namen? Warum hatte er seinen Worten solchen Nachdruck verliehen, die kleine Pause gesetzt? Die beiden sahen einander wortlos an, unversehens klopfte Kaufner das Blut in den Schläfen:
»Samarkand? Aber wir
sind
doch in –?«
Kaum war die Parole ausgetauscht, fügte der Händler zu allem Überfluß an: »Samarkand Samarkand
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