Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)
für die Rückkehr des großmächtigen Sultans zu schmücken. Im Juli waren Tore und Mauern der Stadt mit Seidenbrokat behängt, die Bäume der Alleen frisch gestutzt, die Kanäle gereinigt; nach Einbruch der Dämmerung wurde Samarkand so prachtvoll illuminiert, daß es den Sterblichen selbst nachts wie die Schwelle zum Paradies erschien.
Schon Tage, bevor er seine Hauptstadt erreichte, zog Timur mit dem gewaltigen Troß an Kriegern, Gefangenen und erbeutetem Vieh ununterbrochen durch Herden – Männer molken die Stuten, Frauen die Kühe. Sodann durch Zeltstädte, mit Erplündertem aus den vergangenen fünf Kriegsjahren überfüllt, von den schönsten Frauen der unterworfenen Gegner bevölkert; dazu die Gesandtschaften aus jedwedem Land des bewohnten Erdkreises; stell dir vor, Ali, die Chronisten berichten von fünfzigtausend Zelten! Als Timur in die Stadt selbst einzog, standen Trommler, Pfeifer, Gaukler, Akrobaten und Seiltänzer bereit; die Bäcker hatten aus Brot ein Minarett gefertigt, in dessen Innerem man hochsteigen konnte; der Mameluckensultan hatte aus Ägypten eine Giraffe geschickt; aus dem Hochland von Täbris war ein Heiliger gekommen, der auf einem Vogel Strauß Hunderte von Metern durch die Luft fliegen konnte; aus Indien ein Musiker, der die Regenzeit auf seiner Geige herbeizuspielen wußte; in den Straßen drängten sich Handwerker aus Damaskus, Gelehrte aus Bagdad, Händler vom Mittelmeer und aus Fernost, gefangene Sklaven aus aller Herren Länder. Timur ließ beim Einzug seines Heeres Goldstücke, Perlen, Edelsteine unter die jubelnde Menge streuen und lud alle zum Festgelage vor die Tore der Stadt.
Getrunken wurde Wein, Arrak und vergorene Stutenmilch; gegessen wurde das Fleisch edler Pferde aus Timurs Marstall; gefeiert wurde in Zelten und unter freiem Himmel. Überall Fakire, Jongleure, gefangene Herrscher in ihren Käfigen, zum Gaudium des Volkes wurden sie von Spaßmachern mit glühenden Ästen gequält. Die Sänger intonierten mongolische, türkische, arabische, persische, chinesische Weisen und begleiteten sich dazu mit Harfe oder Laute. Mitten auf dem Festgelände aber auch immer wieder Galgen, um ranghöhere Persönlichkeiten sogleich aufzuknüpfen, falls sie verleumdet und direkt vor Ort verurteilt wurden. Betrügerische Händler wurden geköpft, begnadigte Todeskandidaten wenigstens an den Füßen am Galgen aufgehängt.
Im Zentrum des Trubels das goldgewirkte weiße Seidenzelt des großmächtigen Gebieters. Davor die Fahne seines Geschlechts, Falke und Rabe auf weißem Grund, dazu das Feldzeichen, mit Yakhörnern und vier schwarzen Roßschweifen an der Spitze geschmückt. Drinnen tausend Getreue, die Sitzordnung entsprechend der Schlachtordnung des Heeres. Timurs Feste waren in ihrer maßlosen Fröhlichkeit spektakulär: Es gab Pferdelende, Pferdekutteln, ganze Hammelköpfe in goldenen Schüsseln, von den hübschesten Gefangenen serviert. Dazu eine scharfe Salztunke, auf daß man herrlich Durst bekam – betrunken zusammenzubrechen galt als Zeichen der Wohlerzogenheit. Wachte man wieder auf, erbrach man sich und trank weiter. Alles fand auf Teppichen liegend statt, begleitet von Darbietungen halbnackter Tänzerinnen, die ekstatische Schreie von sich gaben. So ist es überliefert, Ali, ich erzähle es nur, weil es die Wahrheit ist und erzählt werden muß.
Und weil du verstehen sollst, wie untröstlich Timur inmitten der Festlichkeiten war. Im Grunde saß er bloß da und versteckte die meisten Wörter unter seiner Zunge. Mitunter ließ er sich auf die Beine hochziehen und tanzte, lahm wie er war, mühsam dabei die Balance haltend. Bekanntlich hatte er zehn Frauen, jede von ihnen war in einem eigenen Zelt untergebracht, darum herum Dutzende an Zusatzzelten für Kinder, Diener, Gefolge. Doch die Frau, die er liebte – ohnehin hätte ihr als Sklavin nur ein Platz im Harem zugestanden –, war nicht erschienen, um ihm ihre Aufwartung zu machen. Nach neun Tagen Gelage hatte Timur die wichtigsten Glückwunschaudienzen über sich ergehen lassen, die Zeit war gekommen, Nazira aufzusuchen. Er hätte ihr befehlen können, an seiner Seite mitzufeiern. Aber er wollte ihr Herz gewinnen, jetzt oder nie. Da gab es nichts zu befehlen. Einzig zu hoffen.
Während das Fest weiter seinen Gang ging, begab sich Timur in den
Garten, der das Herz erfreut.
Im
Weißen Palast
hatte Nazira die vergangenen Jahre verbracht, so war ihm berichtet worden, kaum daß man sie dann und wann in ihrem geliebten Garten
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