Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)
Dinge. Derweil zauberten die Schamanen, flehte der Derwisch den Segen vom Himmel herab, schleuderte Erde gegen die Feinde und verwünschte sie:
»Schwarz sollt ihr werden vor Scham über eure Niederlage!«
Kaum war er wieder aufgesessen, ließ Timur die große Kesselpauke schlagen, die Trommeln sämtlicher Regimenter fielen ein, dazu die Kriegstrompeten und Hörner. Der islamische Schlachtruf, gefolgt von dem der Tataren. Dann wurde die Erde zur Staubwolke.
Aber Toktamisch war in der Kriegsführung ebenso gerissen wie Timur, schließlich war er von ihm selber ausgebildet und für Kampagnen gegen seine Widersacher mit Truppen aus Samarkand versehen worden. Hier trafen Feldherrn aufeinander, die ihre Regimenter nach der gleichen Taktik aufstellten und mit den gleichen Waffen in die Schlacht schickten: Lanzen, Lassos, Wurfnetze, eisenbeschlagene Keulen, Dolche, Säbel, Pfeil und Bogen. Die Krieger im Kettenpanzer, ihre kleinen struppigen Pferde mit mehreren Lagen Rindsleder geschützt.
Hin und her wogte der Kampf, Mann gegen Mann. Diesmal war es Toktamisch, der sich einer List bediente. Als sich beide Heere beim Ruf seines Vorbeters zum Nachmittagsgebet niederließen, sprengte er mit einer Handvoll Reiter durch die feindlichen Formationen hindurch und direkt auf Timur zu. Der griff nach seiner Lanze, aber der Lanzenträger war bereits aufgesprungen und geflohen. So mußte er, Timur, der Lahme, auf seinem weißen Pferdefell schutzlos sitzen bleiben und dem Schicksal in die Augen blicken. Toktamisch versetzte ihm zwei Hiebe mit dem Krummsäbel auf den Helm, ehe ein Soldat der Leibgarde den Lederschild über ihn halten konnte. Im Gerangel wurde Toktamisch abgedrängt; als er sich zur Flucht wandte, erwischte ihn einer noch zufällig am Halsband und – konnte Timur wenige Augenblicke später die Marmorkugel überreichen. Der saß schon wieder zu Pferde und dirigierte seine Truppen, dem Fliehenden nachzusetzen.
Mit Toktamischs Flucht, die von Entsetzensschreien seiner Krieger binnen Sekunden in sämtlichen Regimentern verbreitet wurde, war die Schlacht aller Schlachten geschlagen. Schonung gab es keine. Während das gewaltige Gemetzel anhielt, stieg Timur vom Pferd, hängte sich seinen Gürtel über den Nacken, stülpte die Mütze über die Faust, beugte neunmal das Knie, goß Stutenmilch auf die Erde und dankte Gott für den vorherbestimmten Sieg.
Und dennoch hatte ihm mit Toktamisch auch das Glück den Rücken gekehrt und ihm den vollständigen Triumph verwehrt – erneut war ihm der Khan der Goldenen Horde entwischt. Eilboten mit der Siegesnachricht wurden nach altem mongolischen Vorbild an Kopf und Rumpf bandagiert, damit sie den Gewaltritt in die Heimat besser ertrugen. Neun Säcke, vollgestopft mit Ohren, die man den getöteten Feinden abgeschnitten, wurden als Siegestrophäe hinterhergeschickt. Doch anstatt sich ans Schlürfen des Weines zu begeben und sich mit dem Rebensaft den Staub der bösen Tage von der Brust zu waschen, verschob Timur die Siegesfeier auf den Tag der Heimkehr. Er wußte, die Korankugel alleine nützte ihm wenig; um seinen Sieg über die Goldene Horde zu Hause mit allem Glanz verkünden zu können, mußte er Toktamischs Kopf präsentieren. Er verfolgte den Fliehenden vom Terek bis zur Wolga, die Wolga hinauf und dann nach Westen bis an den Dnjepr, plünderte die Ukraine, verwüstete Rußland, schließlich ließ er die Hauptstadt der Goldenen Horde einebnen und Gerstenkorn darüber aussäen, so gründlich, daß der Ort bis heute ein Ruinenfeld blieb. Toktamisch indes bekam er nicht zu fassen.
In seiner Enttäuschung schlug Timur sein Winterlager im Kaukasus auf, ließ seine Wut im Frühling 1396 erst noch an georgischen Bergdörfern und Festungen aus, ehe er heimkehrte. Fünf Jahre war er von Samarkand fort gewesen, hatte die Goldene Horde vernichtend geschlagen, die geheiligte Ordnung der Welt auch in Persien wiederhergestellt, fortan beherrschte er sämtliche Seidenstraßen von China bis ans Schwarze Meer. Aber das zerrissene Halsband der Marmorkugel blieb zerrissen, das sagte alles.
Um darüber hinwegzutrösten, mußte die Siegesfeier gewaltig ausfallen. Samarkand, die Hauptstadt des Diesseits, der Garten der Welt, das glanzvolle Antlitz der Erde, hier strömten sämtliche Völker und Schicksale zusammen, sogar von den Herrschaftshäusern Europas und Chinas kamen Gesandtschaften. Seit dem Eintreffen der Siegesbotschaft hatte man die Trommeln schlagen lassen und angefangen, die Stadt
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