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Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Politycki
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Nazira verlieren, sein Herz war bereit, eine Wüste zu werden. Schon eine seiner Frauen hatte er erschlagen; wo er damals im Zorn gerade mal kräftig ausgeholt hatte, wollte er sich jetzt, als Liebender verschmäht, erst noch an den Qualen der Todgeweihten weiden. Zunächst ließ er Nazira auspeitschen, bis ihr das Gewand in Fetzen vom Leib hing und sie nicht mal mehr wimmerte. Einer seiner Folterknechte, der vom Festgelage direkt hierher geschafft worden, hackte ihr, sturzbetrunken wie er war, mit gewohnter Präzision ein Fingerglied nach dem anderen ab. Schließlich die Fingerstummel, bevor er ihr die Hände abschlug. Ähnlich verfuhr er mit den Füßen, da war Nazira bereits ohnmächtig. Auch daß ihr Nase und Ohren abgeschnitten wurden, bekam sie nicht mehr mit.
    Am liebsten hätte sie Timur eigenhändig von der Spitze des Minaretts gestoßen. Er konnte’s indes nur befehlen. Doch seine Getreuen, mit denen er mordend und sengend durch die Jahre gezogen, jetzt stopften sie Nazira lediglich widerstrebend in den Sack. Den Befehl, sie vom Minarett zu werfen, gaben sie vom einen an den anderen weiter, bis derjenige, der des niedersten Rangs unter ihnen war, mit dem Befehl übrig- und dennoch tatenlos stehenblieb.
    »Ich scheine nicht in meinem Munde zu sein«, zog Timur drohend den Säbel gegen ihn.
    So leer der Registan bei seiner Ankunft gewesen, so schnell hatte er sich mit einer ansehnlichen Menge an Schaulustigen gefüllt. Der Emir, der den Befehl auszuführen oder die Klinge des Säbels zu schmecken hatte, zögerte keine Sekunde und schritt geradewegs auf die Zuschauer zu, befahl dem erstbesten, den Sack zu ergreifen. Der Glotzer, ein Sklave mit armenischer Höckernase und nach vorn aufgestülpten Nasenflügeln, der gerade erst gekommen und noch gar nicht recht im Bilde war, was geschehen, trat zögernd unwillig herbei, duckte sich notgedrungen zum Gruß vor seinem Khan, empfing Weisung. Aus seinen Augen drang eine intensive Dunkelheit, bei näherem Hinsehen war er erschreckend jung und von bescheidenem Verstand.
    Doch daß es jetzt zappelte im Sack, stöhnte und seinen großmächtigen Gebieter, den Khan aller Khane, Herrn der Welt, mit schlimmen Worten verfluchte, das hörte und verstand er sehr wohl. Unter dem atemlosen Schweigen aller, die ihn umdrängten, packte er den Sack, aus dem es blutig tropfte, schulterte ihn und verschwand im Aufgang des Minaretts. Es war so still, daß man den Wind über den Platz streichen hörte, wie er den Sand zu kleinen Fahnen aufwirbelte. Sobald der Sklave auf der Spitze des Turms auftauchte, kurz den Sack mit beiden Armen über sich hielt, gen Himmel gestemmt, fuhr die Menge mit einem Seufzer auseinander. Schon fiel der Sack, fiel Nazira, persische Prinzessin, Lieblingskonkubine des Khans der Goldenen Horde, Verhängnis des großmächtigen Sultans und Herrn der Glückskonjunktion, fiel mit einem Schrei, der die Schleier zwischen ihr und Gott zerriß.
    Plump schlug der Sack auf der Erde auf. Als die ersten näher traten, hatte sich der Sand darum herum schon rot eingefärbt. Noch aber zuckte es im Sack, kaum zu glauben! Mit der Entschlossenheit des Verzweifelten gab Timur seinem Roß die Hacken, galoppierte so lange hin und her und über das Gezappel, bis es unter den Huftritten zur Ruhe gekommen.
    Das Fest war vorbei. Dem Sklaven, der nach vollbrachter Tat auf die Getreuen Timurs zuschritt, um sich den versprochenen Lohn abzuholen, schlug man den Kopf ab. Der Bazar wurde geschlossen, jegliches Geschäft in und außerhalb der Stadt verboten und eine vierzigtägige Staatstrauer anberaumt.
    Zwei Tage lang trank Timur Arrak, ohne einen Bissen Speise zu sich zu nehmen, dann wurde er krank. Währenddessen wurde Naziras zerschundener Leichnam einbalsamiert, mit weißem Leinen umwickelt, das man in Kampfer, Moschus und Rosenwasser getränkt, und in einen Sarg aus Ebenholz gelegt. Der Sarg wurde mit Juwelen und Edelsteinen aufgeschüttet und unverschlossen im
Weißen Palast
aufgestellt, bis ein angemessenes Mausoleum in der Gräberstraße Shah-i Sinda errichtet war. Jeden Tag ließ sich Timur in der Sänfte zur Baustelle tragen, auf daß er die Baumeister persönlich zur Eile anspornen konnte.
    Eine nimmer endende Prozession, strömten die Gesandten, die Krieger und Bürger der Stadt, die eben noch gemeinsam gefeiert, am Sarg vorbei, um dem Befehl des Khans Folge zu leisten und der Toten die letzte Ehre zu erweisen. Die Frauen entblößten ihr Haupt, schwärzten sich die Wangen,

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