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Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Politycki
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Dschingis Khan sei er der einzige, der es rechtmäßig tragen dürfe: »Morgen, wenn ich dich unterm Joch des Lebens hervorgezerrt habe, werde ich dir den Zahn abnehmen und ihn baden in deinem Blut.«
    Nun war es heraus. Timur schlug einen gegnerischen Bauern und ließ sich nichts anmerken. Sodann entgegnete er ungerührt: Es sei vielmehr Toktamisch, der morgen für seine Treulosigkeit zur Veranwortung gezogen und ins Gewand des ewigen Seins gekleidet werde. Sobald er vom Becher des Entwerdens gekostet habe, werde er, der Khan aller Khane, Toktamischs Blut trinken und … ihm die Marmorkugel vom Halse reißen.
    Nun war auch das heraus. Toktamisch nahm einen Schluck Tee, ergriff einen seiner Türme, fuhr damit durch die Luft, hielt in der Bewegung inne – eine leere Sekunde lang sah er durch Timur hindurch –, dann ließ er den Turm neben dem Brett sinken und stellte ihn irgendwo ab. Mit diesem Zug war die Partie beendet. Wie benommen faßte sich Toktamisch an den Hals, als taste er nach einem unsichtbaren Band:
    Sitora habe ihm ins Gesicht gespuckt, wie er ihr die Marmorkugel habe schenken wollen! Einzig Dschingis Khans Wolfszahn sei’s wert, ihren Hals zu zieren. Sofern er ihn brächte, wolle sie ihm dienen auf jede Art, die er zu dienen befehle.
    »Die kostbare Kugel! Du roter Rotz einer Fehlgeburt, gesteh’s, du hast sie zerstört!«
    Timur schlug sich mit der Hand der Erbitterung aufs Knie. Statt die Antwort abzuwarten, zeigte er auf den eigenen Hals und bekämpfte den Schmerz durch Schmerz: bellte höhnend heraus, was zwischen ihm und Nazira vorgefallen und wie er den Wolfszahn zu Staub zermalmt. Toktamisch biß sich in den Handballen, als Jüngerer wagte er nicht, Timur deswegen zu schimpfen. Überdies
hatte
er die Kugel ja zerstört, wie er nun unter vielfältigen Rechtfertigungsfloskeln hervorstotterte, von den Begehrlichkeiten Naziras habe er nie auch nur eine Ahnung gehabt. Timur hörte versteinert zu. Eine Weile blickten sich beide voll Haß an, keiner wußte, ob der andere die Wahrheit gesprochen hatte. Im Gegenteil, beide waren sich sicher, daß sie belogen worden – so konnten sie wenigstens noch irgendeine Hoffnung in den morgigen Kampf legen. Erst wenn einer der beiden tot vor dem anderen lag, würde die Wahrheit herauskommen, beim Griff an dessen Hals.
    Abwechselnd erhellten und verdüsterten sich ihre Gesichter, wurde ihnen klar und immer schmählicher klar, welcher Art der Stachel gewesen, der sie die letzten Jahre durch die Welt und schließlich hierhergetrieben hatte. Nicht der Wille zur Weltmacht. Nicht Liebe und die Sehnsucht, sie mithilfe von Liebesbeweisen zur Erfüllung zu bringen. Sondern der Haß zweier Frauen, deren Ränkespiel sie, einer wie der andere, blind auf den Leim gegangen. Beide hatten sie sich als bloße Handlanger ihrer Rache in den Krieg locken lassen, beide würden sie morgen als Geschlagene in die Schlacht ziehen. Mit einem bitter dröhnenden Gelächter endet die Geschichte.
    Nazardod schlug die Augen auf, blickte seinen Gast prüfend an. Kaufner blickte ungläubig zurück, das konnte, das durfte nicht das Ende der Geschichte sein. Sonst hätte er morgen früh, so kurz vor dem Ziel, ja doch noch umkehren und unverrichteter Dinge nach Hause fahren müssen. Oder war es genau das, was ihm der Schäfer hatte nahelegen wollen? Nazardod lächelte aus heitertraurigen Augen, es gefiel ihm, daß Kaufner mit seiner Geschichte unzufrieden war. Nachdem er nachgeheizt hatte, warf er sich wieder in die Haltung des Erzählers:
    »Du hast recht, Ali, so darf die Geschichte nicht enden. So wird sie auch bloß bei den Mongolen erzählt und, du weißt es wie ich, sie haben mit allem nur immer Unheil über die Völker gebracht. Willst du die Wahrheit wissen oder bist du müde?«

    Bei den Tataren begann die Schlacht mit der Verspottung der Gegner; indem sie einander bis aufs Blut reizten, brachten sie sich in Kampfeswut. Das war bei ihren Anführern nicht anders. Kaum hatten sie sich beidseits des Schachbretts niedergelassen, fing Toktamisch an zu höhnen:
    »Morgen Abend werde ich mir eine Trinkschale aus deinem Schädel anfertigen lassen, in Silber gefaßt. Sie wird
Der Zorn des Khans
heißen.«
    Zug um Zug, den er tat, stichelte er weiter:
    »Ich werde dein Blut löffeln, mit Kreuzkümmel gewürzt.«
    Die ersten Bauern waren gesetzt, mittlerweile wurden Springer und Läufer in Position gebracht:
    »Ich werde deinen Leichnam zerstückeln und den Hunden zum Fraß vorwerfen. Nur deinen

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